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(Heft 2/2023)
Das Pilotprojekt „Vast Vasteste – Hand in Hand“ in der Dortmunder Nordstadt erprobt den Einsatz von aus der Roma-Community stammenden Bildungsmediator*innen an Schulen

Hand in Hand für bessere Teilhabe und Bildungschancen

Roma und auch andere zugewanderte Familien sind vielfach besonders stark von Armut, Diskriminierung und einem Mangel an Teilhabemöglichkeiten betroffen. Das wirkt sich negativ auf die schulische Situation der schulpflichtigen Kinder aus und stellt die betroffenen Kommunen vor sehr komplexe Herausforderungen. In Dortmund geht man diese Herausforderungen mit dem Pilotprojekt „Vast Vasteste – Hand in Hand“, so die Übersetzung, an.
Das vom Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Stadt Dortmund und der Freudenberg Stiftung geförderte Projekt startete im August 2019. Am 19. Dezember, dem offiziellen Gedenktag für die Opfer des Völkermordes an den Sinti und Roma fand der offizielle Projektauftakt mit allen Beteiligten statt. Mit „Vast Vasteste – Hand in Hand“ wird der Einsatz von Roma als Bildungsmediator*innen im Tandem mit Lehrkräften an fünf Schulen in der Nordstadt erprobt. Das im Fachbereich Schule beim Regionalen Bildungsbüro der Stadt Dortmund angesiedelte Projekt richtet sich explizit an Roma-Kinder und -Familien, aber nicht exklusiv. Das heißt, andere benachteiligte Familien profitieren ebenfalls. Der lokale Roma-Verein Romano Than und weitere Akteure vor Ort werden in beratender Funktion beteiligt. 
 
Ziele des Projekts sind eine diskriminierungssensible Schulentwicklung an den beteiligten Schulen sowie die niedrigschwellige Bildungsberatung von Familien der Zielgruppe. So sollen die Bildungschancen für die benachteiligten Kinder und Jugendlichen verbessert werden. Insbesondere möchte das Projekt zum Empowerment durch Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen aus der Roma-Community beitragen.
 
Dieser Ansatz kommt nicht von ungefähr, denn wissenschaftliche Untersuchungen – zuletzt die RomnoKher-Studie 2021 – weisen schon länger darauf hin, dass verzahnte, nachhaltige Teilhabe- und Unterstützungsstrukturen und Kooperationen mit Vertreter*innen aus der Roma-Community für das Gelingen von Bildungsprozessen dieser Gruppe essenziell sind.
 
Formelle Qualifikationen spielten bei der Auswahl der Mediator*innen nicht die Hauptrolle. „Gerade wenn man selbst vielleicht nicht die Möglichkeit hatte, in die Schule zu gehen oder dort schlechte Erfahrungen gemacht hat, gibt das den Menschen die Motivation, den Bildungsweg für die Kinder aus den Communitys besser zu gestalten“, sagt Projektleiterin Christine Speiser.
 
Die Bildungsmediator*innen bilden an den Schulen jeweils mit einer Lehrkraft, die die Einbindung der Mediator*in ins multiprofessionelle Team der Schule begleitet, ein Tandem. Vor dem Einsatz in den Schulen durchliefen diese Tandems, teilweise gemeinsam, über vier Monate verschiedene Qualifizierungsmaßnahmen. Diese umfassten Themenbereiche wie Vorurteilsbewusste pädagogische Haltung, Schulsystem in NRW, Elternmitwirkung, (Verfolgungs-)Geschichte von Rom*nja und Sinti*zze, Kinderschutz und vor allem auch Kommunikation und rechtliche Grundlagen. Eine thematisch flexible, kontinuierliche, tätigkeitsbegleitende, monatliche Qualifizierung rundet das Qualifizierungspaket ab. Auf dieser Grundlage sind die Mediator*innen in der Lage, Eltern über das Bildungssystem zu informieren, ihr Verständnis für formale Bildung zu fördern und gleichzeitig die Schule für die Belange von Sinti- und Roma-Familien zu sensibilisieren. Kenntnisse der gewaltfreien Kommunikation und der interkulturellen Mediation ermöglichen es ihnen, tragfähige Lösungswege für die Beteiligten mit ihren unterschiedlichen Werten und Hintergründen zu entwickeln. Eine weitere Aufgabe ist es, Unterstützungsbedarfe der Schüler*innen zu erkennen und sie an zuständige Fachkräfte zu vermitteln (zum Beispiel an Nachhilfeangebote oder Sozialarbeiter*innen).

Wertvolle Hilfe während der Pandemie
 

Seit Februar 2020 sind vier Mediatorinnen und ein Mediator mit je 19,5 Wochenstunden an den fünf Dortmunder Schulen in der Nordstadt im Einsatz. Gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit bei Ausbruch der Corona-Pandemie zeigte sich deutlich, wie wichtig sie sein können. In der Zeit, in der die Schulen durch den Distanzunterricht den Kontakt zu den Kindern und ihren Familien zu verlieren drohten, konnten die Mediator*innen ihn aufrechterhalten. Beim Thema Digitalisierung und Online-Unterricht, bei dem die Familien ohne Unterstützung abgehängt gewesen wären, leis­teten sie wertvolle Hilfe.
 
Die aktuelle Arbeit der Bildungsmedia­tor*innen hat an jeder Schule einen etwas anderen Schwerpunkt. Sie können zum Beispiel Kinder im Unterricht begleiten, wenn sie sprachlich noch Probleme haben, sie können kleine Lerngruppen anbieten, es gibt an einer Schule aber auch ein wöchentliches Kreativangebot, an einer anderen ein Bewegungsangebot speziell für Mädchen. Einige Mediator*innen haben eigene Sprechstunden in den Elterncafés an den Schulen. Neben Deutsch und Romanes sprechen die Dortmunder Bildungsmediator*innen verschiedene andere Sprachen, darunter Rumänisch, Bulgarisch, Spanisch, Serbisch, Mazedonisch, Albanisch, Italienisch und Englisch. So sind sie in der Lage, mehrsprachig das gegenseitige Verständnis sowie eine vertrauensvolle Kommunikation zwischen Eltern und Schule zu unterstützen, zum Beispiel im Rahmen von Elterngesprächen. Außerdem besuchen die Mediator*innen in Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit die Familien auch zu Hause – ein wichtiger Baustein zum Aufbau von stabilen Bindungen für die Zusammenarbeit mit Eltern und Kindern. 

Vertrauensperson für die Roma-Community
 

„Man kann sagen, dass sie den Eltern eine wichtige neue Orientierungsmöglichkeit geben und zu wichtigen Vertrauenspersonen für die Familien und die Kinder geworden sind, was in dieser Form durch die Lehrkräfte nicht geleistet werden kann“, sagt Christine Speiser. 
 
Um eine gleichberechtigte Bildungsteilhabe zu ermöglichen und konkrete Zugangsbarrieren zu überwinden, nutzen die Tandems den Ansatz der „partizipativen Planung“. Das bedeutet, dass sie sich mit weiteren Lehrkräften, Sozialpädagog*innen und Eltern Unterstützungsteams zusammenstellen, die dann gemeinsam „Hand in Hand“ Lösungswege aufzeigen. Dieser Ansatz ermöglicht nicht nur den Aufbau von langfristigen Kooperationen, er sorgt auch für feste Hilfestrukturen, die dann nicht in jedem Einzelfall neu aufgebaut werden müssen. Zu guter Letzt profitieren die Roma-Bildungsmediator*innen auch selbst von dem Projekt. Sie werden gezielt weiterqualifiziert, was sie in die Lage versetzt, auch nach Projektende eine Tätigkeit im pädagogischen Bereich aufnehmen zu können.
 
„Für alle Beteiligten des Projekts, die Kinder und Familien, deren Bildungs- und Teilhabechancen wir erhöhen wollen, die Schulen, die wir sensibilisieren wollen, und die Mediator*innen selbst, die wir empowerment-orientiert unterstützen wollen, damit sich nachhaltige Beschäftigungsverhältnisse daraus ergeben können, konnten wir einiges erreichen“, sagt Christine Speiser. Bei den Kindern der Zielgruppe werden ein besseres Selbstbewusstsein, weniger Angst vor der Schule, weniger Fehlstunden festgestellt. Die Schulen melden zurück, dass sich die Kommunikation mit den Eltern verbessert hat. Und die Bildungsmediator*innen sind glücklich, dass sie nach Ende der Laufzeit des Pilotprojekts weiterarbeiten können. Denn das Land NRW hat den Ansatz des Dortmunder Pilotprojekts aufgegriffen und ab dem Schuljahr 2021/2022 in das Landesprogramm „Vast Vasteste – Hand in Hand in NRW“ überführt. Über das Ministerium für Schule und Bildung werden 20 Stellen zur Verbesserung der sozialen und schulischen Teilhabe neu zugewanderter Kinder aus Südosteuropa und Kinder in vergleichbaren Lebenslagen sowie eine landesweite Koordination finanziert. Das Landesprogramm „Vast Vasteste – Hand in Hand in NRW“ wird mittlerweile in Köln, Duisburg, Velbert, Düren und Hagen und neben den fünf Pilotprojektschulen auch an vier weiteren Schulen in Dortmund, die nicht mehr nur in der Nordstadt liegen, umgesetzt. Die Stadt Dortmund übernimmt die Finanzierung der Bildungsmediator*innen, das Land finanziert den Stellenanteil der Lehrkräfte, die im Tandem mit ihnen arbeiten, sowie eine landesweite Koordination.
 

Kontakt

Stadt Dortmund – Regionales Bildungsbüro
Christine Speiser
Tel.: 0231 47643927
cspeiser@stadtdo.de

Autor

Frank Stefan Krupop
Tel.: 02306 741093
frank_krupop@web.de

Ansprechpersonen in der G.I.B.

Lars Czommer
Tel.: 02041 767254
l.czommer@gib.nrw.de
Dr. Frank Nitzsche
Tel.: 02041 767157
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