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(Heft 2/2023)
Ein Rückblick auf den Kongress in Düsseldorf

Auftakt zur Fachkräfteoffensive NRW

Gemeinsam gegen den Fachkräftemangel. Mit diesem Signal der Entschlossenheit startete die nordrhein-westfälische Landesregierung am 11. Mai in Düsseldorf die Fachkräfteoffensive NRW. Vertreter*innen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Sozialverbänden kamen an diesem Tag zu einem Fachkongress zusammen, um gemeinsam mit der Landesregierung die breit angelegte Strategie zu diskutieren.
Fachkräftesicherung ist eines der drängenden Themen unserer Zeit. Mit der Fachkräfteoffensive NRW hat die Landesregierung nun einen Plan entworfen, um der Herausforderung zu begegnen. Die Strategie der Landesregierung, die diese auch in einem entsprechenden Konzeptpapier formuliert hat, lautet: Ideen entwickeln und umsetzen, Maßnahmen optimieren, noch stärker als bisher bündeln und die entscheidenden Arbeitsmarktakteure einbinden. Mit der Auftaktveranstaltung am 11. Mai wollte die Landesregierung entschlossenes Handeln demonstrieren und gleichzeitig ein Bewusstsein dafür schaffen, dass alle Akteure des Arbeitsmarkts in der Pflicht sind, sagte Arbeitsminister Karl-Josef Laumann im G.I.B.INFO-Interview. Mit ihm sowie der Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie Mona Neubaur, der Schul- und Bildungsministerin Dorothee Feller sowie den Staatssekretären des MAGS und des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MKJFGFI), Matthias Heidmeier und Lorenz Bahr, waren neben vielen weiteren Mitgliedern wichtige Verantwortungsträger der Landesregierung vertreten. 
 
Auch aus der Wirtschaft, den Gewerkschaften, dem Handwerk und den Sozialverbänden kamen wichtige Partner, wie der Hauptgeschäftsführer von Unternehmer NRW Johannes Pöttering, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes NRW Anja Weber, der Geschäftsführer der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit Roland Schüßler, der Präsident des Westdeutschen Handwerkskammertages Berthold Schröder, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer NRW Ralf Mittelstädt und der Vorsitzende des Verbandes Freier Berufe im Lande Nordrhein-Westfalen Bernd Zimmer. Und da nicht nur über, sondern auch mit den Menschen gesprochen werden sollte, fanden sich auf den verschiedenen Podien des Kongresses zahlreiche Gäste aus der Praxis wieder. 
 
Per Videobotschaft betonte Ministerpräsident Hendrik Wüst zu Beginn der Veranstaltung das gemeinsame Ziel der Initiative: „Nur mit qualifizierten Fachkräften werden wir unser Land moderner, digitaler und nachhaltiger machen. Deshalb ist die Fachkräftesicherung ein Schwerpunkt unserer Politik: Mit dem Kongress bringen wir die vielen wichtigen Akteure zusammen. Gemeinsam werden wir daran arbeiten, dass unsere Fachkräfteoffensive ein Erfolg wird.“ Diesen Faden griff auch Karl-Josef Laumann in seiner Eröffnungsrede auf und lud alle dazu ein, die Fachkräfteoffensive mitzugestalten, denn „Fachkräftesicherung ist nicht allein Aufgabe der Politik, sondern vor allem im ureigenen Interesse der Unternehmen.“ 
 
In insgesamt sechs Panels – moderiert von Mitarbeiter*innen der G.I.B. – wurden anschließend die fachspezifischen Themen der Strategie der Fachkräfteoffensive NRW vorgestellt und diskutiert. Zuallererst: 

1. Panel: Die Berufliche Orientierung und den Übergang Schule – Beruf für die Zukunft gestalten
 

Es dürfe kein junger Mensch am Übergang von der Schule in den Beruf verloren gehen, betonte Barbara Molitor, Gruppenleiterin der Gruppe A und stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung II, Arbeit und Qualifizierung vom MAGS, bei der Eröffnung des Panels. Grundsätzlich sei NRW mit der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) gut aufgestellt, um durch die Berufliche Orientierung frühzeitig einen Beitrag zur Fachkräftesicherung zu leisten. Die Strukturen müssten jedoch weiterentwickelt werden. Diese Einschätzung bestätigen Zahlen, die Anja Esser, Leiterin des Referats 315 „Berufliche Orientierung, Übergang Schule – Beruf“ des Ministeriums für Schule und Bildung vorlegte. In NRW haben 60 Prozent der Jugendlichen mit Ausbildungsvertrag die Schule mit einer Hochschulzugangsberechtigung abgeschlossen. Aber: Von den jungen Menschen mit Hauptschulabschluss münden nur 58 Prozent in eine duale Ausbildung ein. Um dieses Potenzial zu heben, so Anja Esser, sollten insbesondere an den Berufskollegs die Praktikumszeiten verlängert werden. Doch welche Faktoren spielen bei der Berufswahlentscheidung junger Menschen eigentlich eine Rolle? Mit dieser Frage beschäftigt sich Philip Herzer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung „Initiativen für die Berufsbildung“ vom Bundesinstitut für Berufsbildung, im Forschungsprojekt „Bildungsorientierungen und -entscheidungen von Jugendlichen im Kontext konkurrierender Bildungsangebote“. Familie und Freunde haben maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung bei der Berufswahl, so Philip Herzer in seinem Impulsvortrag während des Panels. Aber auch wie dieser generell bei Jugendlichen ankommt, spiele eine Rolle. Auffällig hierbei: Aversionsfaktoren wie etwa ein geringes Prestige dämpfen die Attraktivitätsfaktoren eines Berufs entscheidend. Eine mögliche Lösung: Klischees durch gute Beispiele aufbrechen. Solche Beispiele könnten „Role Models“ sein, mit denen sich die Jugendlichen identifizieren. 
 
Dass das private Umfeld großen Einfluss auf die Berufswahlentscheidung nimmt, konnten die beiden Ausbildungsbotschafter Mourad Malah und Leon Schlingheider aus eigener Erfahrung bestätigen. Mourad Malah interessierte sich nach seinem Realschulabschluss zunächst für eine Ausbildung bei der Polizei. Weil aber seine Englischkenntnisse zu diesem Zeitpunkt noch nicht den Anforderungen der Ausbildung entsprachen, entschied er sich stattdessen für eine Berufsrichtung, für die er sich schon während seiner Schulzeit begeistert hatte: Informatik. Hierfür bekam er auch großen Zuspruch aus seinem Freundeskreis, was ihm die Entscheidung für eine Ausbildung zum Fachinformatiker deutlich einfacher machte. Leon Schlingheider fing nach seinem Fachabitur zunächst ein Studium an. Seine damalige Entscheidung begründet er damit, dass dieser scheinbar vorgezeichnete Weg, nach dem Abitur studieren zu müssen, fest in ihm verankert gewesen sei. Ganz auf sich allein gestellt, fühlte er sich im Studium jedoch nicht wohl. Als er dann von Freunden erfuhr, wie gut und eng diese während ihrer dualen Ausbildung von ihren Betrieben und der Kammer unterstützt werden, brach er sein Studium für eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann ab. 
 
In der abschließenden Gesprächsrunde, besetzt mit weiteren Vertreter*innen der Kommunalen Koordinierungsstelle, Teamleitung U 25 der Bundesagentur für Arbeit, unteren Schulaufsicht mit Zuständigkeit für KAoA, Leiterin der Zentralen Studienberatung und der Handwerkskammer Müns­ter, machten die beiden noch einmal deutlich, dass auch Eltern über die Vielfalt der Berufe und die Vorteile einer Ausbildung aufgeklärt werden müssen. Zudem sprachen sie sich für mehr Praktika während der Schulzeit aus. Allerdings müssten diese auch von Betrieben angeboten werden. Hier wünschte sich Carsten Haack von der Handwerkskammer Münster, dass sich insbesondere Handwerksbetriebe für junge Menschen öffnen, die noch eine Berufliche Orientierung benötigen. 

2. Panel: Berufliche Aus- und Weiterbildung – Perspektiven gestalten
 

Die berufliche Aus- und Weiterbildung sind ohne jeden Zweifel Schlüsselelemente zur Fachkräftesicherung. Aus diesem Grund müssen sie für verschiedene Zielgruppen geeignete Instrumente bereitstellen, die Lust auf Engagement und Beteiligung machen. Neben zahlreichen Angeboten und Initiativen, die landesweit bereits umgesetzt werden, haben auch viele Unternehmen kreative Ideen entwickelt und setzen Maßnahmen um, um Jugendliche für eine Ausbildung zu gewinnen, sie entsprechend (nach-)zuqualifizieren und mit attraktiven Angeboten im Betrieb zu halten. Wie Unternehmen das Thema Aus- und Weiterbildung in der Praxis angehen und mit welchen Angeboten die Landesregierung sie sowie ausbildungsinteressierte Jugendliche unterstützt, darum ging es in diesem Panel.
 
Der Garten- und Landschaftsbaubetrieb Gartenhof Küsters geht mit gutem Beispiel voran, denn er arbeitet bei der Anwerbung von Auszubildenden mit der Kommunalen Koordinierungsstelle und Schulen vor Ort eng zusammen und besucht regelmäßig die 8. Klassen der Schulen aus seinem Netzwerk, um den Schüler*innen Tätigkeiten vorzustellen und sie für ein Praktikum zu begeistern. Schulnoten spielen bei der Personalauswahl dann eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund stehen der Mensch und was ihn antreibt. Damit sich in Zukunft mehr junge Menschen für einen Beruf im Garten- und Landschaftsbau entscheiden, wünscht sich der Betrieb, dass bei der Beruflichen Orientierung in den Schulen stärker darauf aufmerksam gemacht wird. 
 
Die Benteler International AG, die weltweit Unternehmen in der Automobilindus­trie, im Maschinenbau, in der Stahlindus­trie und Energie betreibt, bietet ihren Auszubildenden schon während ihrer Ausbildung die Gelegenheit, in eine Auslandsniederlassung hineinzuschnuppern. Zudem nimmt das Unternehmen die Bedürfnisse der jungen Generation ernst. Schon seit einigen Jahren können Auszubildende von Benteler einmal im Jahr einen sogenannten Umwelttag veranstalten. Dabei säubern sie beispielsweise einen Fluss und setzen somit ein Zeichen für Umweltschutz. Um Auszubildende anzuwerben, lässt die AG Ausbildungsbotschafter auf Messen und Events ihre eigenen Erfahrungen erzählen. Und damit der Karriereweg für junge Menschen auch nach der Ausbildung weiter nach oben gehen kann, bietet das Unternehmen zusammen mit Arbeitsagenturen und Jobcentern umfassende Qualifizierungs- und Umschulungsmöglichkeiten an. 
 
Das mittelständische Familienunternehmen TRIMET Aluminium SE nutzt die Integrationskraft von Industriearbeitsplätzen, um jungen geflüchteten Menschen eine Perspektive für ihr Leben in ihrer neuen Heimat zu geben. Mit dem im Jahr 2016 gestarteten Projekt „Berufsbildung für Flüchtlinge“ möchte das Unternehmen insgesamt 66 geflüchtete Menschen in eine Ausbildung bringen. Dabei holt das Unternehmen die potenziellen Auszubildenden dort ab, wo sie stehen. So können sie je nach Schulausbildung und Eignung über ein Vorpraktikum und eine anschließende Einstiegsqualifizierung oder direkt nach dem Vorpraktikum in eine Ausbildung einsteigen. Derzeit befinden sich sieben junge geflüchtete Menschen an verschiedenen Standorten des Unternehmens in einer Einstiegsqualifizierung oder einer Ausbildung. Und 45 junge Menschen sind nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung mittlerweile sogar fest bei TRIMET beschäftigt. 
 
Auch das Projekt „QUAZ“ unterstützt Menschen mit Migrationshintergrund beim Einstieg in den Arbeitsmarkt. In der ehemaligen Ausbildungswerkstatt von Opel betreibt die Volkshochschule Witten | Wetter | Herdecke gemeinsam mit drei weiteren Beschäftigungsträgern und drei kooperierenden Volkshochschulen das Sprach- und Qualifizierungszentrum für Zugewanderte in Bochum-Langendreer, kurz QUAZ.RUHR, und stellt so über 300 Plätze für Menschen mit Migrationshintergrund zur Verfügung. Das Motto: Alles aus einer Hand. So haben die Teilnehmenden bei QUAZ die Chance, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, sich parallel in verschiedenen Berufsfeldern praktisch zu erproben und zu qualifizieren und mit Unterstützung von Jobcoachs den Weg in die Arbeitswelt zu finden. 
 
Zusätzlich zu diesen positiven Praxisbeispielen wurden in diesem Panel auch neue Gestaltungsansätze vorgestellt, mit denen die Landesregierung junge Menschen für eine Ausbildung gewinnen möchte. Wie zum Beispiel das Programm „Ausbildungswege NRW“, das am 1. Juli 2023 gestartet ist. Es soll landesweit unversorgte, ausbildungsinteressierte junge Menschen mithilfe von Coachs für eine Ausbildung gewinnen und sie bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützen. Einen Beitrag zur Attraktivitätssteigerung der dualen Ausbildung leistet zudem seit dem Jahr 2021 die „Studienintegrierende Ausbildung NRW“. Das Angebot ermöglicht Auszubildenden parallel einen Berufs- und Studienabschluss zu erwerben. Ausbildungsbetriebe gewinnen so hoch qualifizierten Fachkräftenachwuchs. Mehr Anreiz für eine Karriere im Handwerk soll zudem eine Meisterprämie schaffen. Ab dem 1. Juli 2023 fördert das Land jede erfolgreich abgelegte Meisterprüfung mit 2.500 Euro und entlastet damit angehende Handwerksmeister*innen finanziell auf ihrem Bildungsweg. Vertreter*innen der Handwerkskammer Düsseldorf zeigten sich in dem Panel über diesen Schritt sehr erfreut. Eine solche Prämie würde auch die Industrie- und Handelskammer für ihre Berufe begrüßen. 

3. Panel: Anwerbung und Anerkennung – Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen
 

400.000 Menschen müssen jedes Jahr zuwandern, damit sich die Fachkräftelücke hierzulande nicht vergrößert. Auf diese vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erhobene Zahl machte Stefanie Harms vom MAGS zu Beginn des 3. Panels noch einmal aufmerksam. Damit das gelinge, müssten Anwerbung und Anerkennung zusammen gedacht werden. Hierbei könne das Land nur die Rahmenbedingungen verbessern. Für die Anwerbung müssten die Unternehmen die Initiative ergreifen. Doch kleine Betriebe stelle das angesichts personeller und zeitlicher Ressourcenknappheit vor große Herausforderungen, darauf wies Andreas Oehme vom Westdeutschen Handwerkskammertag hin. Eine Lösung könnten regionale „Welcome-Center“ sein, die sowohl die Zugewanderten als auch KMU bei der Integration vor Ort unterstützen, schlug Stefanie Harms vor. Denn die Integration der zugewanderten Menschen nicht nur in Arbeit, sondern auch in das gesellschaftliche Leben sei neben der Vermeidung eines Brain-drain in den Herkunftsländern und fairen Arbeitsbedingungen hierzulande einer der wesentlichen Grundsätze bei der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Dazu gehöre auch, dass den zugewanderten Menschen der Nachzug ihrer Familien erleichtert und adäquater Wohnraum zur Verfügung gestellt wird. 
 
Außerdem sieht der Koalitionsvertrag bei der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland eine weltweite Kampagne für NRW vor. Erste Länder und Projekte seien bereits identifiziert und in Planung, so Stefanie Harms. Stephanie Clüsserath von der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit riet jedoch dazu, als Erstes die Rahmenbedingungen für die Zuwanderung zu verbessern, bevor man nach neuen Zielländern suche. Akuten Verbesserungsbedarf sah sie bei den Visa- und Anerkennungsverfahren und darin, dass die potenziellen Fachkräfte bis zur Anerkennung ihres Berufsabschlusses nur eingeschränkt arbeiten können. Vor allem aber müsse man den Menschen ein Leben in unserem Land anbieten, nicht nur Arbeit. Auch sie betonte in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Themas Wohnen.
 
Wie vor allem kleine und mittlere Unternehmen Fachkräfte mit Flucht- und Einwanderungsgeschichte gewinnen und vor allem integrieren und damit binden können, dazu berät ein neues IQ-Projekt bei der IHK NRW. Das Projekt „Fachkräftenetzwerk & Informationszentrum für Fachkräfteeinwanderung (FIF)“ wurde von Wolfgang Trefzger und Birgit van Tessel vorgestellt. Neben diesem Beratungsangebot bietet das im Frühjahr dieses Jahres an den Start gegangene Projekt auch Schulungen an und setzt seinen Fokus zudem auf den Abbau struktureller Hürden bei der Fachkräftegewinnung und -sicherung.
 
Trotz der vielen Hindernisse gibt es durchaus positive Beispiele, wie Anwerbung gut gelingen kann. Maria Hesterberg vom Uniklinikum Bonn machte das am Projekt „German Track“ deutlich. Es vermittelt potenziellen Fachkräften bereits in ihrem Herkunftsland Inhalte, die hier für die jeweilige Ausbildung relevant sind. Seit 2016 rekrutiert das Uniklinikum Bonn so erfolgreich Pflegefachkräfte aus Mexiko und den Philippinen. Ein Gelingensfaktor dabei: die Menschen stets auf Augenhöhe ansprechen und sich nicht darauf versteifen, deutsche Ausbildungsinhalte eins zu eins auf das Herkunftsland übertragen zu müssen, so Maria Hesterberg. 

4. Panel: Inländische Arbeitskräfte fördern und Potenziale nutzen
 

Wie können die inländischen Potenziale von Langzeitarbeitslosen und Langzeitleis­tungsbeziehenden sowie von Menschen mit Behinderung stärker für den Arbeitsmarkt genutzt werden? Darum ging es im 4. Panel. In NRW gibt es aktuell rund 300.000 langzeitarbeitslose Menschen. Die Hälfte von ihnen hat einen Migrationshintergrund. Dem gegenüber stehen aber auch viele offene Stellen. Den Blick allein auf das Matching von offenen Stellen und langzeitarbeitslosen Personen zu richten, greife jedoch zu kurz, so Bernhard Ulrich, zuständig für Grundsatzfragen, faire Arbeitsbedingungen und Langzeitarbeitslosigkeit im MAGS zu Beginn des Panels. Denn auf diese Weise würden die multiplen Problemlagen dieser Personengruppe nicht berücksichtigt. Mit der erst kürzlich gestarteten Initiative „Chancenperspektive“ bemühen sich Jobcenter in enger Kooperation mit Unternehmen darum, langzeitarbeitslose Menschen durch Nachqualifizierung für eine offene Stelle fit zu machen. 
 
Allerdings erfordert dies eine enge Begleitung durch die Jobcenter. Dazu fehle es jedoch an Personal, wie ein Vertreter eines Jobcenters zu berichten wusste. In vielen Fällen seien zudem nicht ausreichende Sprachkenntnisse und gesundheitliche Einschränkungen der Grund, weshalb Qualifizierungen nicht gelingen. Folglich stagniere die Eingliederungsquote seit den letzten 15 Jahren. Dass sich ein intensives Coaching dieser Personengruppe aber auszahlt, belegte das Beispiel des Trägers Neue Arbeit Essen. Ziel des Coachings ist es, die Teilnehmenden wieder dazu zu befähigen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Dafür lernen sie mit Coachs zum einen, ihren Tagesablauf zu strukturieren. Zum anderen bereiten die Coachs sie auf den Alltag im Betrieb vor. Dazu gehört unter anderem, wie man seine Arbeit organisiert, aber auch, wie man sich Konflikten am Arbeitsplatz stellen kann und Dinge offen anspricht. Beherrschen die Teilnehmenden diese Fähigkeiten, werden sie gezielt auf den Bewerbungsprozess vorbereitet. Hierbei begleiten die Coachs sowohl die Teilnehmenden als auch die möglichen Arbeitgeber. So konnte zum Beispiel eine Teilnehmerin im Laufe des Coachings Praxiserfahrung in einer Holzwerkstatt sammeln, ihr Stottern ablegen und schließlich eine feste Anstellung im Bereich Bühnen- und Messebau finden. 

5. Panel: Auf dem Weg in die digitale und grüne Transformation 
 

Für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in NRW sind die digitale und die grüne Transformation Chance und Herausforderung zugleich. So können sich zahlreiche Unternehmen durch digitale Prozesse und neue Wertschöpfungsketten nachhaltiger und wettbewerbsfähiger für die Zukunft aufstellen. Um diese Chancen zu nutzen und den digitalen und grünen Wandel neben dem laufenden Tagesgeschäft zu bewältigen, fehlt es jedoch vielen KMU an zeitlichen Ressourcen und Know-how. Viele Unternehmen fühlen sich angesichts der Transformation daher ohnmächtig, sagte Andreas Franke von der Deutschen Angestellten-Akademie. Es müsse zunächst ein Bewusstsein für die notwendige Transformation, aber auch Motivation bei der Unternehmensführung und der Belegschaft geschaffen werden. Hierfür seien KMU gerade in der Startphase des Transformationsprozesses auf Begleitung angewiesen, sagte Julia Brandt vom Wuppertaler Institut (WI). Neue Formen des Lernens könnten bei der Transformation helfen. Das WI hat für die Startphase daher eine „offene didaktische Erschließung (ODE)“ entwickelt. Neben der anfänglichen Begleitung durch das WI sieht ODE spezifisch für jedes Unternehmen erstelltes Material und die Unterstützung für veränderte Kommunikationsprozesse zur Einbindung der Mitarbeitenden vor. In dieser Einbindung sah Roman R. Rüdiger von talent::digital den zentralen Schlüssel für eine gelingende Transformation. Digitalisierungsprojekte würden oft nicht an fehlender Soft- und Hardware, sondern an den Kompetenzen der Mitarbeitenden scheitern, sagte er in seinem Vortrag. Um aber erst einmal herauszufinden, wie es um die digitalen Kompetenzen der Mitarbeitenden steht, hat talent::digital einen neuartigen Ansatz zur Messung, Analyse und Entwicklung von digitalen Kompetenzen geschaffen. Bei der Methode „Learning by gaming“ lösen Mitarbeitende spielerisch verschiedene Aufgaben und stellen so ihre digitalen Kompetenzen unter Beweis. Gleichzeitig werden dadurch Bedarfe zur Weiterentwicklung von Kompetenzen erkannt. Mit dieser Methode, so Roman R. Rüdiger, könnten Innovations­impulse in der beruflichen Qualifikation gesetzt werden. 

6. Panel: Gleichstellung und Migration – Chancen einer Gesellschaft
 

Das sechste Panel wurde eröffnet von Dr. Monika Goldmann, der Ehrenvorsitzenden des Vereins Dortmunder Forum Frau und Wirtschaft (dffw) und ehemaliger Forscherin der TU Dortmund, mit einer Präsentation ihrer Forschungsergebnisse zur beruflichen Situation von Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte. Als Resümee hielt sie fest, dass die Integration von (Neu-)Migrantinnen ein langwieriger Prozess sei. Je früher sie Berufs- und Arbeitserfahrung sammelten, desto besser seien ihre Chance auf eine adäquate Stelle. Die Angebote zur Eröffnung von Arbeitsmarktchancen sind allerdings nach wie vor stark auf männliche Arbeitnehmer orientiert. Die Qualifikationen von weiblichen Geflüchteten werden vom Arbeitsmarkt bisher unzureichend genutzt. Frau Dr. Goldmanns dringende Empfehlung: Die Unterstützungsstrukturen stärker auch auf weibliche Geflüchtete zu richten. Aber auch Unternehmen sind gefragt: Durch Praktika in Betrieben und/oder innerbetriebliche Qualifizierungsmaßnahmen könnten sie geflüchteten Frauen die Integration in Arbeit deutlich erleichtern. Bliebe ihnen diese Hilfe aus, hätten selbst viele qualifizierte Frauen nur geringe Chancen für einen beruflichen Neustart in Deutschland, so Dr. Monika Goldmann. Daher lautete ihr Appell: Anstatt ständig neue Modellversuche zu starten, sollten die bestehenden Programme verstetigt und erweitert werden. 
 
Um gesellschaftliche Teilhabe und Integration stärker zu fördern, hat die Landesregierung das Programm „Kommunales Integrationsmanagement NRW“ (KIM) eingeführt. Mit dem Programm, das Savaş Beltir vom MKJFGFI vorstellte, möchte das Land das Engagement der Kommunen für Integration nachhaltig unterstützen und die lokale Integrationsinfrastruktur stärken. KIM setzt dabei auf die bereits etablierten Kommunalen Integrationszentren in den 53 Kreisen und kreisfreien Städten in NRW. Viele zugewanderte Menschen stehen vor der Herausforderung, nicht zu wissen, an welche Stelle sie sich wenden müssen. Schließlich werden sie beim Integrationsprozess nicht von einem Amt oder einer Behörde begleitet, sondern von vielen verschiedenen parallel. Um die langwierigen und komplizierten Verwaltungsverfahren zu vereinfachen, analysiert KIM durch das Case-Management Einzelfälle. So erkennt es, an welcher Stelle die Integrationsinfrastruktur verbessert werden muss. Diese Erkenntnisse werden auf die Systemebene übertragen, damit organisatorische Entscheidungen getroffen werden können, die zukünftig zu einem verbesserten Integrationsmanagement der Menschen beitragen. 
 
Marius Kamrowski von der Stadt Wuppertal gewährte einen Einblick in die Arbeit eines Kommunalen Integrationszentrums. Das Angebot der Servicestelle beinhaltet zum Beispiel für Arbeits- und Fachkräfte berufsorientierte Beratung und Begleitung, Unterstützung beim Spracherwerb, die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und Hilfe bei alltäglichen Fragestellungen. Die Unternehmen werden bei der Suche nach Arbeits- und Fachkräften und bei aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Fragen unterstützt. 
 
Wie groß die bürokratischen Hürden bei der Integration zugewanderter Menschen sind, wurde an einem weiteren Praxisbeispiel aus Wuppertal deutlich. An dem Berufskolleg Kohlstraße mit den Schwerpunkten Gesundheit, Erziehung und Soziales sowie Ernährung und Hauswirtschaft werden circa 1.500 Schüler*innen unterrichtet. Davon haben 60 Prozent einen Migrationshintergrund. Ein großes Problem stellen die langen Bearbeitungszeiten bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse dar, mit der Folge, dass der Beginn der Ausbildung teilweise um ein Jahr verschoben werden muss. Und wer sich fortbilden möchte, hat zudem nur beim Besuch der Fachschule Anspruch auf das Aufstiegs-BAföG. Allerdings ist die Beantragung mit erheblichem Aufwand und Wartezeiten von bis zu einem Jahr verbunden. 
 
Eine gute Integration von geflüchteten Menschen fängt bei den Kleinsten an. Die Integration geflüchteter Kinder in Kitas ist jedoch für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Für die Eltern und ihre Kinder, aber auch für die Fachkräfte in der Kita. Das Modellprojekt „Integrationsbegleiterinnen in Kitas“ unterstützt seit 2016 beide Seiten. Es wird vom MKJFGFI und von der Auridis Stiftung gefördert und von der AWO in Ostwestfalen-Lippe durchgeführt: Frauen mit eigener Integrationserfahrung aufgrund von Flucht oder Migration werden hier zu Integrationsbegleiterinnen geschult und bekommen einen niedrigschwelligen Zugang zum Arbeitsmarkt. Ihre Aufgabe ist es dann, die Kinder in der Kita zu begleiten. Dabei unterstützen sie durch Dolmetschen den Kontakt zwischen Erzieher*innen sowie Kindern und Eltern. Als Mittlerinnen zwischen den Eltern und Kindern auf der einen Seite und den Fachkräften auf der anderen Seite fördern die Integrationsbegleiterinnen den Integrationsprozess und entlasten die Fachkräfte in den Kitas. 

Ausblick
 

In diesen sechs Panels bot der Auftaktkongress zur Fachkräfteoffensive NRW viel Platz, um die breit angelegte Strategie der Fachkräftesicherung zu besprechen, Chancen und Stolpersteine aufzuzeigen und alle Akteure ins Boot zu holen. Ein zentraler Kongress in Düsseldorf reicht allein aber nicht aus. Weil sich die Fachkräftelage in NRW ganz unterschiedlich darstellt, braucht es ein passgenaues Vorgehen in den unterschiedlichen Regionen, wie Karl-Josef Laumann in seiner Eröffnungsrede betonte: „Ich werde mich deswegen auch auf regionalen Kongressen mit den dort lebenden und handelnden Menschen über die aktuelle Situation und die jeweiligen Chancen und Herausforderungen austauschen.“ Mit den 16 Fachkongressen in den jeweiligen Regionen wird die Idee der Auftaktveranstaltung auch mit den Partnern vor Ort in den Kommunen geteilt: Es braucht einen Schulterschluss zwischen allen beteiligten Akteuren, um der Herausforderung Fachkräftesicherung zu begegnen.
 

Autor

Nils Strodtkötter
nils.strodtkoetter@web.de

Ansprechpersonen in der G.I.B.

Panel 1: Die Berufliche Orientierung und den Übergang Schule – Beruf für die Zukunft gestalten
Sören Ellerbeck
Tel.: 02041 767171
s.ellerbeck@gib.nrw.de
Dörthe Koch
Tel.: 02041 767114
d.koch@gib.nrw.de
Panel 2: Berufliche Aus- und Weiterbildung – Perspektiven gestalten
Joachim Liesenfeld
Tel.: 02041 767215
j.liesenfeld@gib.nrw.de
Eva-Maria Tomczak
Tel.: 02041 767205
e.tomczak@gib.nrw.de
Panel 3: Anwerbung und Anerkennung – Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen
Lena Becher
Tel.: 02041 767251
l.becher@gib.nrw.de
Michaela Kohls
Tel.: 02041 767212
m.kohls@gib.nrw.de
Panel 4: Inländische Arbeitskräfte fördern und Potenziale nutzen
Ute Soldansky
Tel.: 02041 767256
u.soldansky@gib.nrw.de
Benedikt Willautzkat
Tel.: 02041 767204
b.willautzkat@gib.nrw.de
Panel 5: Auf dem Weg in die digitale und grüne Transformation 
Ralf Burger
Tel.: 02041 767316
r.burger@gib.nrw.de
Dr. Katja Nink
Tel.: 02041 767307
k.nink@gib.nrw.de
Panel 6: Gleichstellung und Migration – Chancen einer Gesellschaft
Anja Stahl
Tel.: 02041 767178
a.stahl@gib.nrw.de
Hyre Sutaj
Tel.: 02041 767173
h.sutaj@gib.nrw.de
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