Häufig kumulieren Problemsituationen wie steigende Armut, ungenügende soziale Infrastruktur und mangelnde Teilhabeangebote für Ältere und Migrant*innen in bestimmten Sozialräumen und bei bestimmten Personengruppen. Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben schon vor Jahren die ungleichen Lebensbedingungen in ihren Stadtbezirken und Quartieren in den Blick genommen und begonnen, über quartiersbezogene Datenanalysen und durch Nutzung des Know-hows von Expert*innen gezielte Handlungsoptionen zur Verbesserung der Lage von Quartiersbewohnerinnen und -bewohnern zu entwickeln.
Sozialraum- und zielgruppenbezogene Angebotsfinanzierung versus Globalmittel
Der Kommunalverbund StädteRegion Aachen, dem zehn Kommunen angehören, hat 2016 ein Amt für Inklusion und Sozialplanung gegründet, um eine qualifizierte Sozialberichterstattung aufzubauen und zukünftig die freiwillige Mittelvergabe an die freien Wohlfahrtsverbände passgenauer für Mensch und Quartier einzusetzen. Anstatt Globalzuschüsse zu gewähren, sollten fortan Projektvorhaben in den ausgewiesenen Handlungsfeldern der Sozialplanung gefördert werden, also eine veränderte Finanzpolitik, die zunächst für Verunsicherung bei den regionalen Wohlfahrtsverbänden sorgte. Nach nun sechs Jahren kontinuierlicher Arbeit in Form von regelmäßigen Gesprächen, Konferenzen, Werkstätten und Fachforen, zum Teil mit externer Moderation, ist das Ergebnis eine einvernehmliche abgestimmte Neuausrichtung der Mittelvergabe und die Etablierung von zweckgebundenen Leistungsvereinbarungen. Nicht immer waren die Zusammenkünfte von Verwaltung, Politik und Verbänden von wechselseitigem Verständnis geprägt. Doch soll dieser Weg gemeinsam weiter gegangen werden. Denn der Prozess hat den Wissensaustausch und die Kommunikation auf eine wertschätzende und verständnisvolle Ebene gehoben. Die neuen Strukturen machen Entscheidungen für alle Beteiligten nachvollziehbar und stärken damit sowohl die Sozialberichterstattung als auch die Sozialplanung in der StädteRegion Aachen.
Sozialberichterstattung und Sozialatlas als Grundlage für die Stadtentwicklung
Die Zusammenarbeit der Stadtverwaltung Neuss und der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Neuss hat Tradition. Bereits seit 2006 verfügt die Kommune über eine im Dezernat Jugend, Integration und Soziales angesiedelte Stabsstelle „Sozialplanung“. Zunächst projektbezogen auf die Themen Wohnen im Alter, Inklusion, Netzwerk und Quartiersarbeit fokussiert, wurde einem politischen Auftrag entsprechend die Berichterstattung der Sozialplanung neu ausgerichtet. Seit 2010 gibt es den Sozial- und Jugendbericht, der über eine reine Datenanalyse hinaus auch die Erfahrungen der Akteure der sozialen Arbeit beinhaltet und mit dem Sozialatlas zudem einen Überblick über Einrichtungen und Angebote in der Stadt gibt. Den Weg für dieses Sozialmonitoring ebneten moderierte Beteiligungswerkstätten und runde Tische, in denen die unterschiedlichen Interessenlagen von Kommunalpolitik, Stadtverwaltung, Wohlfahrtsverbänden und freien Trägern Berücksichtigung fanden. Daraus konnten sich verbindliche Formen der Zusammenarbeit sowie ein gemeinsames Verständnis dafür entwickeln, welche Rolle und Aufgaben die Sozialplanung hat. In Neuss werden Datenanalyse und Sozialatlas kontinuierlich fortgeschrieben und sind online frei verfügbar. Den Wert dieser umfassenden Informationssammlung weiß auch die Stadtentwicklung der Stadt Neuss zu schätzen. Bietet sie doch eine wichtige Diskussionsgrundlage für die Durchführung von Sozialkonferenzen und Investorengespräche im Hinblick auf die Entwicklung städtebaulicher Quartiere, wie aktuell bei den Umgestaltungsprozessen zweier ehemaliger Industrieareale zu neuen Siedlungsbereichen.
Soziale Bedarfe strukturiert in Planungsnetzwerke integrieren
Wurde die Erstellung des ersten Sozialberichts 2008 in Bottrop noch extern beauftragt und ausschließlich auf politischer und städtischer Leitungsebene geplant, haben sich 2014 mit der Einrichtung einer Stelle für Sozialplanung die Abstimmungsprozesse für die Sozialberichterstattung auf die strategische Arbeitsebene von Kommune und Wohlfahrtsverbänden verlagert. Das Ziel: Mit einer strukturierten Sozialplanung anhand von kleinräumigen Datenanalysen das Bewusstsein in Verwaltung und Politik für relevante soziale Themen zu schärfen und gleichzeitig ressortübergreifend Sozialplanungsprozesse in anderen kommunalen Planungsnetzwerken stärker zu integrieren. Mit dem Aufbauprozess einer eigenen kommunalen Sozialberichterstattung wurden die Träger der Freien Wohlfahrtspflege nun direkt zu Beginn einbezogen und zu entscheidenden Partnern. Im Zentrum der gemeinsamen Arbeit stand zunächst die Einigung auf aussagekräftige Messgrößen wie zum Beispiel Bevölkerungsstruktur, Familienstand und Transferleistungsbezug. Mittels dieser Indikatoren konnten zur Verfügung stehende Daten bezogen auf statistisch festgelegte Stadtbezirke in „Quartiersprofilen“ zusammengefasst werden. In der Weiterentwicklung wurden diese Profile als Planungsgrundlage beispielsweise für das Finanzierungsmanagement oder die Verstetigung von Angeboten für alle Prozessbeteiligten in einem Sozialbericht in einfacher Weise nutzbar gemacht. Anstelle der bislang anlassbezogenen und informellen Zusammenarbeit zwischen der Arbeitsgemeinschaft Wohlfahrt Bottrop, Politik und Verwaltung sollen zukünftig gemeinsam dauerhafte Strukturen erarbeitet werden, die neben dem Verständnis füreinander ebenfalls die Zusammenarbeit stärken.
Strategische Sozialplanung schafft Orientierung und Legitimation
Die vorgestellten Beispiele zeigen, kommunale strategische Sozialplanung ist ein komplexer ganzheitlicher Prozess als Teil der Stadtentwicklung, in dem die Träger der sozialen Arbeit sowohl als informationsgebende Sozialraum-Experten sowie als bedeutende Partner in der Planung und Umsetzung von stabilisierenden Maßnahmen für Menschen und Quartier eine maßgebliche Rolle innehaben. Daher ist ein enger Austausch zwischen Fachverwaltungen, Politik und Trägern unabdingbar, um nachhaltige Lösungen entwickeln und Ressourcen bestmöglich in den Stadtquartieren einsetzen zu können. Wichtig dabei: Alle Beteiligten arbeiten mit gegenseitigem Respekt zusammen und lassen ihr Wissen in den Prozess einfließen. Die Kenntnis über Bedarfe, Möglichkeiten und Begrenzungen des Handelns aller beteiligten Akteure schafft Transparenz, gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen als Basis für Veränderungsbereitschaft und gemeinsames Festlegen formeller Strukturen der Zusammenarbeit. Strategisch ausgerichtete Sozialplanung ist hierbei die relevante Verbindung, die fortwährend Informationen zusammenträgt, Diskussionsgrundlagen schafft und beteiligungsorientiert zur Verfügung stehende Informationsmittel nutzt. Nachhaltige Sozialplanung kann nicht vom Engagement einzelner Personen abhängen, sie ist kein „nice to have“, sondern ein wichtiges Planungsinstrument, mit dem gezielt strukturelle Verbesserungen in einem städtischen Gefüge erreicht werden können. Dafür ist es notwendig, im Gespräch zu bleiben, den Planungsprozess auch für neue Akteure nachvollziehbar und offen zu halten. Jede Kommune, jeder Kreis findet dabei eigene passende Strukturen für das Zusammenwirken. Doch könnte die Entwicklung eines Leitfadens für Zusammenarbeit und die Organisation eines kommunalen Wissenstransfers, wie es an die Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalens in der Veranstaltung herangetragen wurde, bei der Implementation von Sozialplanung hilfreich sein.
Ansprechpersonen im MAGS
Autorin
Ansprechpersonen in der G.I.B.