„Deutschland heißt internationale Fachkräfte willkommen!“ Diese Botschaft wollte man mit dem neuen Gesetz senden, sagt Johannes Remy vom zivilgesellschaftlichen Akteur Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung. Seit März 2020 ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es, die Fachkräftesicherung „durch eine gezielte und gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften“ aus Nicht-EU-Staaten zu flankieren, wie es die damals schwarz-rot geführte Bundesregierung formulierte. Menschen mit einem Arbeitsvertrag und einer anerkannten Qualifikation sollen seitdem einfacher zum Arbeiten in Deutschland einreisen können.
Als Fachkraft gilt nun auch, wer über eine anerkannte ausländische Berufsausbildung verfügt. Damit haben diese Menschen die gleichen Einreise- und Aufenthaltsmöglichkeiten zur Jobsuche wie Fachkräfte mit einer akademischen Ausbildung. Sie müssen sich auch nicht mehr auf Berufe beschränken, die vom Fachkräftemangel besonders stark betroffen sind – die sogenannten Engpassberufe. Auf eine Vorrangprüfung wird in der Regel ebenso verzichtet. Diese sah vor, dass zunächst geprüft werden musste, ob die konkrete Stelle mit Bewerber*innen aus Deutschland oder einem EU-Staat besetzt werden konnte. Aber auch Unternehmen sollten mit dem Gesetz unterstützt werden. Zum Beispiel durch das sogenannte beschleunigte Fachkräfteverfahren, mit dem die Dauer für die Erteilung des Visums für die Fachkraft verkürzt werden kann. Viele gute Ansätze. Doch wie wurde dieses Angebot bisher angenommen?
Nadelöhr Anerkennungsverfahren
Der Zeitpunkt für den Start des Gesetzes hätte ungünstiger kaum ausfallen können. Fast zeitgleich breitete sich das Coronavirus weltweit aus und legte die Mobilität lahm. Kamen im Jahr vor der Pandemie noch rund 64.000 Erwerbsmigrant*innen aus Drittstaaten nach Deutschland, waren es 2020 laut Migrationsbericht der Bundesregierung nur noch knapp die Hälfte. Immerhin stieg die Zahl im Folgejahr wieder um ein Drittel auf mehr als 40.000 Personen. Für das Jahr 2022 liegen noch keine Zahlen vor. Klar ist jedoch: „Gemessen an der gesamten Migration nach Deutschland ist der Anteil von Erwerbsmigrant*innen aus Drittstaaten gegenüber jenen aus der EU sehr niedrig.
Das liegt auch daran, dass trotz vereinfachter Regelungen durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz die bürokratischen Hürden nach wie vor sehr hoch sind, wenn man aus einem Drittstaat zum Arbeiten nach Deutschland kommen möchte“, sagt Johannes Remy. Das fange beim Visaantrag an und ende mit der Anerkennung des ausländischen Berufsabschlusses. Letzteres betrifft insbesondere die Berufsausbildung. Mit der dualen Ausbildung habe Deutschland zwar ein einzigartiges und international hoch angesehenes Ausbildungssystem, so Johannes Remy. Jedoch sei dieser hohe Maßstab im direkten Vergleich mit einer ausländischen Ausbildung kaum erreichbar. Denn in der Regel weisen ausländische Ausbildungslehrpläne in Dauer und Inhalt große Unterschiede zu deutschen auf.
Theoretisch ist es zwar möglich, dass Personen, die nur eine zweijährige Berufsausbildung in ihrem Herkunftsland erworben haben, auf Anhieb eine volle Anerkennung erhalten, sofern sie mehrere Jahre Berufserfahrung vorweisen können. Doch das muss immer individuell geprüft werden, und das kann lange dauern. Im Regelfall vergehen vom Eingang des Antrags auf Anerkennung bis zum Bescheid der Gleichwertigkeitsprüfung drei bis vier Monate. Zeit und Aufwand für die Zusammenstellung aller notwendigen Dokumente für den Antrag, wie zum Beispiel eine übersetzte und beglaubigte Kopie des Berufsabschlusses, Arbeitszeugnisse oder Nachweise von Deutschkenntnissen, sind darin nicht einmal enthalten.
Bei der Prüfung der Gleichwertigkeit der ausländischen Berufsqualifikation mit dem deutschen Referenzberuf stellen die zuständigen Stellen dann oft nur eine teilweise Gleichwertigkeit fest. Fehlende Kenntnisse können die Antragstellenden anschließend durch eine Anpassungsqualifizierung nachholen. Dafür dürfen sie auch nach Deutschland einreisen. Je nach Beruf kann eine solche Qualifizierungsmaßnahme allerdings bis zu 18 Monate dauern. Das bedeutet: Bis eine Person die volle Anerkennung ihrer Berufsqualifikation bekommt, vergeht meist mindestens ein Jahr. Eine große Geduldsprobe für Fachkräfte, aber auch für Arbeitgeber, die diese dringend benötigen. Mit der Reform des Gesetzes soll sich dies grundlegend ändern.
Das „modernste Einwanderungsrecht in Europa“ soll auf drei Säulen stehen
Im Herbst 2022 hat das Bundeskabinett Eckpunkte zur Einwanderung aus Drittstaaten beschlossen. Um die Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland zu senken und ihnen den Standort Deutschland schmackhaft zu machen, soll das Einwanderungsrecht künftig auf drei Säulen fußen: der Fachkräftesäule, der Erfahrungssäule und der Potenzialsäule. Nicht weniger als das „modernste Einwanderungsrecht in Europa“ soll damit erreicht werden, so der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.
Bei der ersten Säule geht es darum, die Regelungen für anerkannte Fachkräfte auszuweiten und sie stärker zu unterstützen. Unter anderem dadurch: Sie sollen grundsätzlich die Möglichkeit haben, in jedem nicht reglementierten Beruf arbeiten zu dürfen. Ein gelernter Maurer aus Syrien könnte so etwa auch im Vertrieb arbeiten, wenn ein Unternehmen meint, ihn dort gut einsetzen zu können. Zudem sollen Fachkräfte auch Einreise- und Aufenthaltsmöglichkeiten bekommen, wenn sie „aus nicht selbst zu vertretenden Gründen“ keine oder nur zum Teil Unterlagen zu ihrer Berufsqualifikation vorlegen können. Ihre Kompetenzen können dann hier in Form einer Qualifikationsanalyse geprüft werden. Für Interessent*innen, die mit der sogenannten Blauen Karte EU zum Arbeiten nach Deutschland kommen möchten, soll außerdem die Höhe der erforderlichen Mindestgehaltsschwelle abgesenkt werden. Bei der Blauen Karte EU handelt es sich um einen besonderen Aufenthaltstitel für ausländische Akademiker*innen, die in Deutschland eine qualifizierte Beschäftigung aufnehmen möchten. Die Vorteile, die mit einer solchen Karte verbunden sind, sollen auch auf Fachkräfte mit einer Berufsausbildung übertragen werden.
Mit der zweiten, der Erfahrungssäule, sollen Menschen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten, die zwar keine anerkannte Berufsqualifikation vorweisen können, jedoch schon viel Berufserfahrung mitbringen. Für die Arbeit in einem nicht reglementierten Beruf müssen sie künftig zwei Jahre Berufserfahrung in dem auszuübenden Beruf nachweisen können plus einen Berufs- oder Hochschulabschluss, der in dem Land, in dem er erworben wurde, staatlich anerkannt ist.
Und bei der dritten Säule geht es schließlich darum, Jobsuchenden aus Drittstaaten „mit gutem Potenzial“ die Einreise zur Suche nach einem Arbeitsplatz in Deutschland zu ermöglichen. Dafür soll eine „Chancenkarte“ eingeführt werden: Ähnlich wie beim kanadischen Punktesystem müssen sie für den Erhalt der Karte eine bestimmte Punktzahl erreichen, die sie durch den Nachweis der Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung oder den Deutschlandbezug sammeln können. Bei sechs Punkten gibt es die Karte und damit die Chance, ohne Arbeitsvertrag oder anerkannten Berufsabschluss zur Jobsuche einzureisen.
Sprachförderung ausbauen, Anerkennungsverfahren vereinfachen und beschleunigen
Deutschsprachkenntnisse sind und bleiben weiterhin eine Schlüsselkompetenz zur erfolgreichen Arbeitsmarktintegration von ausländischen Fachkräften. Aus diesem Grund möchte die Bundesregierung den Spracherwerb im In- und Ausland stärker fördern. Im Ausland beispielsweise durch mehr digitale Sprachkursangebote und geringere Kosten für Kursteilnehmende für Prüfungen oder Zertifikate. Im Inland soll es insgesamt ein breiteres und bedarfsorientierteres Angebot an Sprachkursen für Fachkräfte geben, wie zum Beispiel digitale berufsbegleitende Kursformate oder spezielle Kursarten für Auszubildende mit einem geringeren Gesamt-Stundenumfang.
In Zusammenarbeit mit Ländern und Kammern möchte die Bundesregierung die Anerkennungsverfahren „optimieren, vereinfachen und beschleunigen“. Erklärtes Ziel ist, dass die gesetzlichen Fristen im Regelverfahren wie beim beschleunigten Fachkräfteverfahren in allen Fällen eingehalten werden. Um das zu erreichen, sollen die Länder und Kammern ausreichend Personal für Anerkennungsstellen zur Verfügung stellen, so der Appell der Bundesregierung. Neben den zahlreichen Vorschlägen zur Optimierung des Anerkennungsverfahrens gehört auch, dass die Unterlagen für den Antrag auf Englisch oder in der Originalsprache von den zuständigen Stellen akzeptiert werden sollen.
Ein Schritt in die richtige Richtung
Insgesamt stoßen die Pläne der Bundesregierung zur erleichterten Einwanderung auf positive Resonanz bei Wirtschafts- und Unternehmensverbänden. Gegenüber dem ZDF äußerte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Achim Dercks, dass das Gesetz eine ganze Reihe wichtiger Verbesserungen enthalte – sowohl bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen als auch bei der Möglichkeit, ohne anerkannten Abschluss nach Deutschland zu kommen. Von den geplanten Erneuerungen profitieren nicht nur ausländische Fachkräfte, sondern auch Unternehmen. „Die unterschiedlichen Säulen räumen den Arbeitgebern mehr Entscheidungsfreiheit ein. So ermöglichen ihnen die Regelungen der zweiten Säule, selbst zu entscheiden, ob sie eine berufserfahrene Person für die konkrete Stelle für geeignet erachten – ohne eine Anerkennung in Deutschland.
Und natürlich spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle für Unternehmen: Wenn es 12 bis 18 Monate dauern kann, ehe man eine Fachkraft beschäftigen kann, nachdem man sie gefunden hat, ist es durchaus möglich, dass man sie dann gar nicht mehr benötigt. Die lange Verfahrensdauer barg bisher ein großes Risiko für Unternehmen“, so Johannes Remy. Insofern sei der Verzicht auf eine Anerkennung der Berufsqualifikation als Voraussetzung für die Einreise die Stellschraube mit dem größten Wirkpotenzial.
Auch mit der geplanten Chancenkarte fallen einige Hürden für Fachkräfte. Aktuell müssen sie für die Einreise zur Jobsuche noch einen anerkannten Abschluss haben und bestimmte Deutschkenntnisse nachweisen können sowie ihren Lebensunterhalt ohne Erwerbstätigkeit sichern. All das soll flexibilisiert werden: Weist eine Fachkraft beispielsweise eine anerkannte Qualifikation vor, kann auf den Nachweis bestimmter Deutschkenntnisse verzichtet werden. Oder andersherum: Beherrscht die Person die deutsche Sprache sehr gut, muss sie nicht zwingend eine Anerkennung vorlegen. Mit der Chancenkarte können Fachkräfte nun außerdem während der Arbeitsplatzsuche noch eine Nebentätigkeit ausüben.
„Die Punkte, die aktuell diskutiert werden, sind ohne Zweifel deutlich ambitionierter als das, was 2020 in Kraft getreten ist“, resümiert Johannes Remy. Allerdings sei in den Jahren 2018 und 2019 mehr gefordert worden, als letztendlich umgesetzt wurde.
Kontakt
Autor
Ansprechpersonen in der G.I.B.