Die G.I.B. hat in ihrer Publikationsreihe „Analysen zum SGB II“ 2021 einen Bericht zum Thema „Alleinerziehende im SGB II – Strukturen und Entwicklungen in NRW“ veröffentlicht und im August 2022 im Rahmen der Online-Veranstaltung „Arbeitsmarktintegration (Allein-) Erziehende – Fokus Kinderbetreuung“ einen fachlichen Austausch zur Thematik organisiert. Insgesamt gibt es laut dem G.I.B.-Bericht, der sich auf statistische Daten der Bundesagentur für Arbeit und von IT. NRW aus dem Jahr 2019 stützt, in Nordrhein-Westfalen knapp über 325.000 Alleinerziehende. Dabei sind mit fast neun von zehn der überwiegende Teil Frauen. 44 Prozent der Haushalte von Alleinerziehenden sind auf Unterstützungsleistungen nach dem SGB II angewiesen. Wobei die Quote sogar bei über 58 Prozent liegt, wenn zwei und mehr Kinder zu versorgen sind. Das entspricht etwa einem Achtel aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im SGB II-Bezug. Im bundesweiten Ländervergleich der SGB II-Hilfequoten von Alleinerziehenden-Bedarfsgemeinschaften findet man NRW damit auf dem drittletzten Platz.
Die Publikation der G.I.B. macht deutlich, dass Alleinerziehende vor einer besonders herausfordernden Lebenssituation stehen: Sie sind in der Regel zeitlich stark eingebunden, stehen finanziell häufig unter Druck und sind oftmals psychisch und gesundheitlich belastet. Wenn nur eine Person Geld verdient und gleichzeitig Erziehungsverantwortung für die Kinder hat, ist es oft schwierig, ein bedarfsdeckendes Einkommen zu erwirtschaften – wenn sie sich überhaupt entscheidet, eine Arbeit aufzunehmen. Das hängt von Rahmenbedingungen auf unterschiedlichen Ebenen ab, weiß Jan Amonn, gemeinsam mit Pauline Blumental, als Autor*innen-Team des G.I.B.-Berichts. „Ihre Entscheidung wird zum einen von ihren individuellen Ressourcen – zum Beispiel ihrer Berufsausbildung und -erfahrung – geprägt. Zum anderen von ihren eigenen Präferenzen. Hier sind zum Beispiel auch Einstellungen zu Geschlechterrollen relevant. Zudem spielt der Haushaltskontext eine Rolle. Also zum Beispiel die Frage, ob die Arbeitsaufnahme die Bedarfsgemeinschaft aus dem Leistungsbezug führen würde. Hinzu kommen gesellschaftliche Rahmenbedingungen, wie etwa die Angebote der Jobcenter bei der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die Situation auf dem Arbeitsmarkt, die Frage, ob ausreichende und hochwertige Angebote an öffentlicher Kinderbetreuung verfügbar sind, sowie allgemeine gesellschaftliche Rahmensetzungen, etwa durch kulturell vorgeprägte Rollenbilder oder auch durch das Steuerrecht.“
Diese Rahmenbedingungen sind bislang allerdings nicht so förderlich gestaltet, dass Alleinerziehende den bestehenden Herausforderungen gut begegnen können. Ein Hauptmanko: Es fehlt an Kinderbetreuungsangeboten, insbesondere in den Randzeiten, also früh morgens und abends. Das lässt sich empirisch belegen. „Auswertungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die regionale Kinderbetreuungsquote, die individuelle Entscheidung für eine Arbeitsaufnahme von Alleinerziehenden im SGB II-Bezug in signifikanter Weise beeinflusst“, sagt Jan Amonn. Besonders im Vergleich der Bundesländer lassen sich beim Blick auf die Situation Alleinerziehender im SGB II deutliche Unterschiede feststellen. Insgesamt sind die SGB II-Hilfequoten Alleinerziehender in den letzten Jahren in fast allen Bundesländern zurückgegangen. Die G.I.B.-Studie zeigt, dass der Rückgang dabei umso höher ausgefallen ist, je besser die Kinderbetreuungsangebote ausgebaut sind. Eher unterdurchschnittliche Betreuungsquoten und vergleichsweise geringe oder sogar keine Rückgänge der Hilfebedürftigkeit gab es aber in NRW und den Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin.
Und auch für die kommunale Ebene in NRW konnten die Autor*innen des Berichts diese interessante Korrelation nachweisen. „Dort wo die Betreuungsquoten hoch sind, ist die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften Alleinerziehender im SGB II in den letzten Jahren vergleichsweise deutlich zurückgegangen. Dort wo die Betreuungsquoten unterdurchschnittlich ausfallen, ist die Zahl der Alleinerziehenden im Leistungsbezug auch nicht so stark zurückgegangen“, so Jan Amonn. Auch wenn diese Entwicklung noch von weiteren Größen beeinflusst wird, lautet das Fazit der Analyse: „Eine gut ausgebaute Kinderbetreuung stellt eine wesentliche Voraussetzung dar, um Alleinerziehenden die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch in einem höheren Stundenumfang zu ermöglichen.“
Als eine wichtige Strategie in diesem Zusammenhang nennt der Bericht die Stärkung des Verständnisses der Arbeitgeber für die Zielgruppe, Stichwort betriebliche Kinderbetreuungsangebote oder auch die Möglichkeiten einer flexibilisierten Berufsausbildung, zum Beispiel in Teilzeit. Außerdem fehlt es nach Erkenntnis der Autor*innen mitunter noch an Transparenz über die bestehenden Hilfe- und Bildungsangebote, die es für die Zielgruppe der Alleinerziehenden vor Ort bereits gibt. Wünschenswert wären aus ihrer Sicht zentrale Anlaufstellen für Alleinerziehende, die ganzheitliche Beratung und Betreuung aus einer Hand bieten.
Die G.I.B.-Untersuchung zeigt aber nicht nur Defizite auf, sondern beschreibt auch einige gelungene Handlungsansätze in NRW. So zum Beispiel das individuelle Betreuungsangebot „Sonne, Mond und Sterne“ des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) in Essen. Dieses Angebot greift in den Randzeiten, was insbesondere für Schichtarbeiter*innen essenziell ist. Hier übernehmen vom VAMV qualifizierte Betreuungspersonen, sogenannte „Kinderfeen“ oder „Kobolde“, die Betreuung des Kindes im Familienhaushalt und begleiten es später gegebenenfalls auf dem Weg in die Kita oder die Schule.
Online-Veranstaltung behandelt breites Themenspektrum
Insgesamt zeigt sich: Dreh- und Angelpunkt für eine Verbesserung der Integrationsquote von Alleinerziehenden sind ergänzende Kinderbetreuungs- oder Beaufsichtigungsangebote. Das wurde auch in der G.I.B.-Online-Veranstaltung „Arbeitsmarktintegration (Allein-)Erziehende – Fokus Kinderbetreuung“ im August 2022 noch einmal deutlich. Zur rechtlichen Situation, zu Rahmenbedingungen und Ansprüchen der Kinderbetreuung hielt Prof. Dr. Sybille Stöbe-Blossey vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen einen Vortrag. Um den flexibleren Bedarfen im Hinblick auf die Betreuung der Kinder besser begegnen zu können, empfiehlt sie vor allem Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen. Denn das Geld sei in NRW zwar vorhanden, die Regelungen aber an vielen Stellen nicht vollständig durchdacht und somit nicht nutzbar. Dies betrifft zum Beispiel den Zuschuss zur Flexibilisierung der Betreuungszeiten (§ 48 KiBiz), der in NRW aufgrund der Regelungen zur Inanspruchnahme kaum zum Tragen kam. Die bisher gemachten Erfahrungen sollten nach Meinung von Sybille Stöbe-Blossey deshalb nochmals systematisch zusammengetragen und von Politik, Jugendministerium und Landesjugendämtern diskutiert werden.
Kinderbetreuung kann eben nicht nur über die Regelbetreuung in Kindergärten stattfinden. Auch die ergänzenden Kinderbetreuungsangebote gewinnen aufgrund von flexiblen Arbeitszeiten und Schichtdiensten an Bedeutung. Neben dem bereits beschriebenen Betreuungsangebot des Essener VAMV wurde im Rahmen der Online-Veranstaltung das Dortmunder Projekt „Eulen & Lerchen“ vorgestellt, ein weiteres Angebot der Randzeitenbetreuung. Es handelt sich um eine betrieblich unterstützte Lösung für in Pflegeberufen beschäftigte Eltern in zwei Dortmunder Kliniken. Hier wird auch besonders deutlich, wie sich ein anderes wichtiges Thema, nämlich das der Fachkräftesicherung, mit der Arbeitsintegration von Alleinerziehenden überschneidet. Denn ein Weg, dem großen Fachkräftemangel, der im Pflegebereich herrscht, zu begegnen, könnte – bei entsprechenden Betreuungsangeboten für die Kinder – beispielsweise die Ausweitung der Arbeitszeiten von Erziehenden sein. Nach Einschätzung der Projektverantwortlichen könnten durchaus auch andere Branchen mit Fachkräfteengpässen von einem solchen Modell profitieren.
Die Erfahrungen im Kontext des Bundesprogramms „Integrationskurs mit Kind“, die im Rahmen der G.I.B.-Veranstaltung ebenfalls vorgestellt wurden, zeigen, dass auch ein Kinderbeaufsichtigungsmodell für Zeiten, in denen Eltern etwa an Maßnahmen teilnehmen, zielführend sein kann. Die Nachfrage nach dem Programm, das geschaffen wurde, um Eltern mit Kindern im nicht schulpflichtigen Alter die Teilnahme an einem Integrationskurs zu erleichtern, ist nicht nur im Kontext der Geflüchteten aus der Ukraine groß. Gefördert wird hier eine integrationskursbegleitende Kinderbeaufsichtigung durch den Kursträger. Wegen fehlender Kinderbetreuungsfachkräfte verfolgt das Bundesprogramm zudem einen weiteren innovativen Ansatz: In den Integrationskursen werden geeignete Personen angefragt, ob sie Interesse haben, im Rahmen des Integrationskurses eine Qualifizierung zur Kindertagespflege zu machen. Ein Lösungsansatz, der nach Meinung der Verantwortlichen unbedingt weiter verfolgt werden sollte.
Zufriedene Kinder – erfolgreiche Mütter
Das Kommunale Integrationszentrum Wuppertal benannte auf der Veranstaltung wesentliche Gelingensbedingungen für die erfolgreiche Installation von Kinderbetreuungsangeboten, insbesondere für die Zielgruppe der Zugewanderten und Geflüchteten: Das Treffen konkreter Absprachen, das Vorhandensein einer Stelle oder einer Person, die die Initiative und Koordination übernimmt, eine klare Zuteilung von Verantwortlichkeiten und die Einbeziehung der Leitungsebene, um Verzögerungen zu vermeiden. Was die Integrationskurse angeht, lautet das Credo aus Wuppertal: Zufriedene Kinder bedeuten zufriedene Mütter, und zufriedene Mütter sind erfolgreich Lernende.
Als Vertreterin des MAGS NRW nahm Kristin Degener, die dort das Referat „Steuerung Grundsicherung für Arbeitsuchende, Koordinierung übergreifender Fragestellungen zur Frauenerwerbstätigkeit“ leitet, an der Veranstaltung teil. Aus der Perspektive der Jobcenter, die Kristin Degener aus der eigenen beruflichen Laufbahn gut kennt und mit denen ihr Referat im Zuge der Steuerung des SGB II ständig im Gespräch ist, gebe es äußere Rahmenbedingungen und Einflüsse, die ihre Arbeit überlagern. Deshalb müsse man in Kauf nehmen, dass man nur in kleinen Schritten vorankomme. Mit Blick auf die Alleinerziehenden macht Kristin Degener noch einmal deutlich, dass das Problem „Kinderbetreuung“ ganz oben steht. „Wenn man es als Arbeitsverwaltung schafft, dieses Thema gut zu bearbeiten, sorgt man für eine seelische Entlastung der Alleinerziehenden und dann ist auch die Bereitschaft da, sich in Richtung Arbeitsmarkt zu orientieren. Zum Beispiel, indem man sich um zusätzliche Kompetenzen und Qualifikationen bemüht, um am Arbeitsmarkt besser landen zu können.“ Die arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die zur Verfügung stehen, könnten also erst im zweiten Schritt greifen.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist wichtigste Rahmenbedingung
Bei einer Erwerbsbeteiligung der Frauen von derzeit bundesweit 72 Prozent ist aus Sicht von Kristin Degener auch mit Blick auf die Fachkräftesituation noch Potenzial zu heben, – wenn denn die Rahmenbedingungen mitspielen. „Rahmenbedingung bedeutet hier natürlich auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das kann zum Beispiel eine betriebsnahe Kinderbetreuung sein, das kann aber auch ein Homeoffice-Modell sein, das sich stark an den Erfordernissen der Erziehenden ausrichtet.“ Das Modell von Betriebskindergärten hält Kristin Degener für eine gute Lösung. „Das Kind ist betreut, das Modell spart Wegezeiten – im Sinne von Work-Life-Balance sind das sehr gute Angebote. Außerdem haben Arbeitgeber mit einem solchen Modell auch eine gute Möglichkeit, Fachkräfte und junge Familien für sich zu interessieren und in ihr Unternehmen zu holen.“ Darüber hinaus müssten in NRW aber generell die institutionellen Kinderbetreuungsangebote im Bereich Fort- und Weiterbildung ausgeweitet werden. Arbeitsmarktmaßnahmen könnten zum Beispiel, analog zu den genannten Integrationskursen, durch Kinderbeaufsichtigungen flankiert werden. „Das wäre eine niedrigschwellige Lösung, bei der die Erziehungsverantwortung bei den Eltern bleibt, weil die Kinderbeaufsichtigung in räumlicher Nähe erfolgt, und den Eltern ermöglicht, an der Maßnahme teilzunehmen.“
Aktuell müssten die Beratungsfachkräfte in den Jobcentern kreativ sein und in gut funktionierenden Netzwerken agieren, um individuelle Lösungen für die Kinderbetreuung im Zuge von Maßnahmen zu finden. Das ist aus Sicht von Kristin Degener aber fürs Erste auch der richtige Weg: „Etwas zu finden, das strukturell genau der richtige Ansatz ist, wird uns in diesem Themenfeld in den nächsten Jahren nicht vollständig gelingen. Wir müssen nach individuellen Lösungen auf lokaler Ebene suchen.“ Dazu brauche es eine grundlegende geschäftspolitische Überzeugung in den Jobcentern, damit die zuständigen Mitarbeiter*innen die notwendige Unterstützung bekommen und die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. „Es ist wichtig, dass das Thema angesichts der vielen Herausforderungen, vor denen die Jobcenter aktuell stehen – Neuzugewanderte, Auswirkungen des Ukraine-Krieges, Bürgergeld –, nicht von der Agenda verschwindet. Nur dann kommen wir in dem Themenfeld schrittweise weiter und können nach und nach den Weg von Individuallösungen zu strukturellen Lösungen finden.“