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(Heft 4/2022)
Die funk-Redaktion der ARD und ZDF schätzt die Vielfalt ihrer Zielgruppe

„Unsere Formate fördern Diversitätsbewusstsein und stärken die jungen Menschen“

Seda Demirok arbeitet bei funk als Formatentwicklerin und Antidiskriminierungsbeauftragte. Sie spürt gesellschaftliche Trends auf und weiß, worauf Unternehmen achten können, wenn sie attraktiv für die jungen Generationen sein wollen.

G.I.B.: Seda, mit welchem Ziel wurde die funk-Redaktion gegründet? 

Seda Demirok: funk ist das Content-Netzwerk von ARD und ZDF und wurde 2016 gegründet. funk hat die Aufgabe, 14- bis 29-Jährige mit Inhalten in ihrer jeweiligen Lebensrealität abzuholen. Um diese Vorgaben zu erfüllen, bringen wir unsere Inhalte dorthin, wo sich die meisten Nutzer*innen aufhalten: wie YouTube, Instagram, Facebook, Snapchat, Spotify und TikTok sowie unsere Internetseite funk.net. Unsere Formate beinhalten die Kategorien Information, Orientierung und Unterhaltung und sind inhaltlich sehr vielseitig – je nach Zielgruppe. Unternehmen sollten sich auf Social Media zeigen. 

Was hat dich selbst in diese Redaktion geführt? 
 

Als Texterin und Creative Conceptioner in der Medienbranche wurde ich auf funk aufmerksam. Meine Annahme war, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur Leute mit Universitätsabschluss einstellt. Zwar hatte ich mehrere Semester studiert, aber aufgrund meiner erfolgreichen beruflichen Karriere keine Zeit, den Abschluss zu machen. Ich malte mir meine Chancen entsprechend gering aus. Dann habe ich meine Scheuklappen abgelegt und mich beworben. Meine Leidenschaft für die Medienbranche hat überzeugt und ich arbeite nun als Partnermanagerin, Formatentwicklerin und YouTube-Plattformexpertin bei funk. Zudem bin ich unsere interne Antidiskriminierungsbeauftragte.  

Wie ist eure Redaktion aufgestellt? Beachtet ihr den Parameter „Vielfalt“ bewusst? 
 

Wir legen bei der Zusammenstellung von Teams Wert auf Diversität. Statt Quote geht es uns um unterschiedliche Sichtweisen.

Welche Rolle spielt „Diversity“ in euren Formaten? 

 
In unseren Formaten achten wir immer darauf, verschiedene Perspektiven aufzuzeigen. Die einzelnen Redaktionen entscheiden über ihre Themen. Generell haben alle Formate einen gesellschaftspolitischen Schwerpunkt. Alle Themen haben eine Daseinsberechtigung. Und ich finde, dass die Diversity-Debatte nicht zu akademisch sein sollte. Das Format „Auf Klo“ thematisiert viele queere Themen. Während sie mit Klischees aufräumen, reden sie ungeniert über Freundschaft, Sex, Liebe, Mental Health, Zukunft, Politik. Wir möchten einen Querschnitt der Gesellschaft und der Lebensrealität junger Menschen abbilden. Wir versuchen diversitätssensibel zu entscheiden, welche Inhalte wir veröffentlichen.

Woher wisst ihr, was gerade relevant ist – habt ihr einen inneren Diversity-Radar und beobachtet gesellschaftliche Strömungen? 

 
Genau! Wir fragen uns, was die „Needs“, also die Bedürfnisse, der jungen Menschen sind. Alle Mitarbeitenden bei uns sind passionierte Social-Media-Konsumenten, also wir nutzen Social Media in hohem Maße und interessieren uns für viele unterschiedliche Themen. In der Formatentwicklung bringen alle ihre Erfahrungen ein und schauen bewusst über den eigenen Tellerrand. Wir pflegen eine starke Diskussionskultur. Feedback von außen nehmen wir dankend an, etwa indem wir Menschen aus der Zielgruppe und Expert*innen anhören. Auch wir sind nur Menschen, und es kann natürlich sein, dass wir nicht weit genug denken. Viele Themenvorschläge erreichen uns direkt aus der Community.

Die Zielgruppe von funk sind junge Menschen, die sich oft in der Phase der beruflichen Orientierung befinden. Was ist dieser Generation wichtig? 

 
Die Gen Z1 bringt ein neues Erwartungs- und Anforderungsprofil an Unternehmen mit. Das bestätigen zahlreiche Studien. Wichtig ist ihnen Gesundheit, eine gesunde Arbeitsatmosphäre, und da gehört kein Obstkorb dazu, sondern ihnen geht es um ein gutes Miteinander, um Balance, ums Verstandenwerden, um Sicherheit und Freiräume. Also Freiräume in einem sicheren Rahmen. Die Möglichkeit, sich entfalten zu können. 

In welchem Verhältnis stehen Sicherheit auf der einen und Freiräume auf der anderen Seite zueinander? 

 
Das ist eine Mischung aus „Ich will meine berufliche Sicherheit haben“ und „Ich will meine kreative Sicherheit haben“. Ein unbefristeter fester Vertrag bedeutet nicht gleichzeitig, dass jemand ein sicheres Gefühl hat. Das entsteht erst mit einer wertschätzenden Arbeitsatmosphäre, in der jeder so sein kann, wie er oder sie halt ist. 

Was sind gute Voraussetzungen, um diese Wertschätzung zu leben?

 
Unsere Redaktion ist tatsächlich selbst ein gutes Beispiel dafür. Wir organisieren uns nach dem holokratischen Ansatz, das heißt, wir versuchen Hierarchien zu vermeiden und folgen klaren Rollenbeschreibungen. Wenn jemandem ständig vorgegeben wird, wie er oder sie etwas zu erledigen hat, dann entsteht kein besonders produktiver Workflow. Wir arbeiten nicht nach dem Schema F. Bei uns dürfen alle Mitarbeitenden alle möglichen Arbeitsweisen, Methoden und digitalen Werkzeuge unter der Bedingung nutzen, dass am Ende das gewünschte Ergebnis vorliegt. Der Weg dahin darf individuell sein. Bei uns zählen Vielschichtigkeit und viele Perspektiven.

Inwieweit bildet ihr in den Formaten ab, was junge Menschen im Beruf brauchen?

 
Unsere Formate sind eine Orientierungsstütze für junge Menschen. Das erleichtert den Zugang zu Informationen über berufliche Wege. Dazu stellen wir Berufsgruppen oder Bildungswege in unterschiedlichsten Weisen dar, etwa die kuriosen Bedingungen des Medizinstudiums oder die stressigen Bedingungen als Azubi in der Sterneküche. Mir persönlich ist es wichtig, dass junge Leute sich im Klaren sind, dass sie unabhängig von Bildungsstand oder Abschluss immer die Möglichkeit haben müssen – und nicht sollten oder dürfen, das beruflich zu machen, was sie wollen. Der Numerus clausus für Studienfächer beispielsweise blendet individuelle Leidenschaften und Talente aus. Dieses System des Aussortierens halte ich für unfair. 

Wie sollten sich Unternehmen aufstellen, um interessant für junge Menschen zu sein? 

 

Die Möglichkeit, agil zu arbeiten ist, der Gen Z und den darauf folgenden Generationen wichtig. Dazu gehören Dinge wie flexible Arbeitszeiten, dass Mitarbeitenden je nach Interessen und Talenten unterschiedliche Rollen ausführen können, dass auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingegangen wird. Transparenz in der Zusammenarbeit und Kritikfähigkeit als Socialskills sind Grundvoraussetzungen dafür. Eine ernst gemeinte Feedbackkultur ist die größte Wertschätzung, die ein Mitarbeiter dem Unternehmen gegenüber machen kann. Hierarchische Systeme sind aus Sicht der Gen Z nicht mehr funktionsfähig. Die Potenziale der Mitarbeitenden werden zu stark eingeschränkt. Wenn Menschen abhängig davon sind, darauf zu warten, bis eine Führungskraft sie befördert, um mehr Mitspracherecht oder Entscheidungskraft zu erlangen, dann ist das auslaugend. Warum sind Mitarbeitende nicht schon von vornherein so relevant, dass ihre Gedanken und Empfehlungen wertvoll sind? Wir können Diversität nur abbilden, wenn allen Leuten die Möglichkeit gegeben wird, sich zu öffnen, etwas dazu zu sagen, teilzunehmen. 

Wie wichtig ist der jungen Generation ein sogenanntes Employer Branding, das Diversity beachtet?

 
Man merkt sofort, wer nur im „Pride Month“ die Regenbogen-Flagge hisst, aber die Werte nach innen nicht lebt. Etwa, wenn internationale Firmen ihre queere Kampagne nur in Mitteleuropa laufen lassen, aber in bestimmten Ländern nicht, weil dort die Gesetze homofeindlich sind. Ich bin überzeugt, dass Unternehmen ihre Werte nach außen vertreten und nach innen leben sollten. Unternehmen sollten realisieren, dass es Menschen gibt, die sich nicht in ein Korsett zwingen lassen.

Können junge Menschen neben ihrer Berufswahl, die schon kompliziert genug ist, auch noch Firmen nach Vielfaltsaspekten durchleuchten? 

 
Menschen verbringen viel Zeit auf der Arbeit. In einem negativen Arbeitsumfeld müssen Menschen sich verstellen, das ist toxisch. Wer hat denn noch Lust, in einem diskriminierenden Arbeitsumfeld zu arbeiten, besonders, wenn man zu einer marginalisierten Gruppe oder einer sogenannten Minderheit gehört? Also zum Beispiel, dass die sexuelle Orientierung nicht respektiert wird. Wir können es uns hierzulande leisten, Nicht-Diskriminierung zu fordern. Mit unseren Inhalten klären wir auf und geben eine Art Leitfaden. Unsere Formate fördern Diversitätsbewusstsein und stärken die jungen Menschen. Sie lernen im Bewerbungsgespräch zu fragen, ob ein Unternehmen bestimmte Rollen wie Diversitätsbeauftragte oder queere Stammtische hat. Das können Hinweise dafür sein, ob auf diversitätssensible Zusammenarbeit Wert gelegt wird. In kleinen Unternehmen spürt man das auf der zwischenmenschlichen Ebene meist noch schneller als in einem anonymen Riesenkonzern. 

Was hältst du von Diversitäts-Strategien in Unternehmen?

 
Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass Unternehmen sich damit beschäftigen, aber bitte ernsthaft und kein „Pinkwashing“ betreiben. Als Antidiskriminierungsbeauftragte bin ich bei funk die interne Ansprechperson. Wenn Menschen sich unwohl fühlen, dann können sie mich ansprechen. Wir haben den Anspruch, antirassistisch zu sein und niemanden zu diskriminieren. Deshalb schaue ich aus dieser Rolle heraus auf unsere Produkte und bringe eine weitere Perspektive mit. In jedem Unternehmen sollte so eine Ansprechperson da sein, um im Falle von Diskriminierung zu handeln.
 
In Firmen ist das Mindset der Geschäftsleitung mit ausschlaggebend. Wenn das nicht offen ist, dann nützen die besten Kampagnen nichts. Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie problematisch ihre Haltung gegenüber bestimmten anderen Menschen ist. Wir alle haben noch ein ganzes Stück Aufklärungsarbeit zu betreiben, um das Diversitätsbewusstsein in unserer Gesellschaft zu stärken. 

1 Der Gen Z (Generation Z) werden zumeist Personen zugerechnet, die 1997 bis 2012 geboren wurden. 
 

Kontakt

Seda Demirok
seda@funk.net

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Das Interview führten

Dr. Christin Krajewski
Tel.: 02041 767177
c.krajewski@gib.nrw.de 
Hanna Göhler
Tel.: 01577 6332164
mail@hannagoehler.com

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Hanna Göhler
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