G.I.B.: Frau Harms, welches Ziel hatte Ihr Ministerium bei der Schaffung und Förderung der Beratungsstellen Arbeit vor Augen?
Welchen Vorteil hat die regionale Verteilung?
Einer der Vorteile ist, dass die Beratungsstellen Arbeit lokal weitere Netzwerke bilden und sich so auf die regionalen Gegebenheiten einstellen können. So gibt es in landwirtschaftlich geprägten Gebieten viel häufiger Missstände im Kontext von Saisonarbeit, während sich in einer Stadt wie etwa Mönchengladbach mit seiner starken Logistikbranche ganz anders geartete Probleme zeigen. Dort hat die Beratungsstelle Arbeit das wirklich beeindruckende, aus Gewerkschaften und weiteren Beratungsprojekten bestehende stadtweite Bündnis „Fair fahren“ initiiert, um konzentriert gegen Missstände in der Logistikbranche vor Ort vorzugehen.
An Standorten der Fleischindustrie wie in Bielefeld wiederum engagiert sich die Beratungsstelle Arbeit gegen Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung. Ganz anders die Aktivitäten der Beratungsstellen Arbeit in grenznahen Kommunen wie Kleve, wo Menschen in niederländischen Schlachthöfen arbeiten, aber auf der deutschen Seite der Grenze wohnen. Dort gibt es heute eine grenzüberschreitende Vernetzung unserer Beratungsangebote mit vergleichbaren Einrichtungen in den Niederlanden, die gemeinsam gegen ausbeuterische Arbeits- und Wohnverhältnisse agieren.
Die flächendeckende Verteilung sorgt zudem dafür, dass wir als Ministerium sehr zeitnah von Missständen erfahren, sodass wir unmittelbar darauf reagieren können. Das war beispielsweise in der Hochphase der Corona-Pandemie der Fall, als wir nach besorgniserregenden Vorfällen in der Landwirtschaft sowie der Fleischindustrie im Münsterland die Beratungsstellen Arbeit unverzüglich zu Telefonkonferenzen eingeladen haben, um die Situation vor Ort rasch zu klären.
Was genau qualifiziert die Beratungsstellen Arbeit für ihre Tätigkeit speziell beim Kampf gegen Arbeitsausbeutung, worin besteht ihre besondere Kompetenz?
Die Beratungsstellen Arbeit sind ja auch Begegnungsstätten, haben – das ist eins der Auswahlkriterien – auch Begegnungsräume, und es gibt von den Regionalagenturen koordinierte runde Tische vor Ort. Damit sind die Beratungsstellen zugleich Anlaufpunkte für die anderen Netzwerkpartner im Kampf gegen Arbeitsausbeutung. Da die Beratungsstellen zudem von Arbeitslosigkeit bedrohte oder betroffene Menschen beraten, haben sie zwangsläufig auch einen sozial- und arbeitsrechtlichen Schwerpunkt und daraus ergeben sich Synergien in der Beratung, etwa dann, wenn sich erst im Gesprächsverlauf Hinweise auf ausbeuterische Tatbestände im Arbeitsverhältnis ergeben, die den Ratsuchenden selbst zunächst gar nicht bewusst waren. Die fachliche Kompetenz der Beratungsstellen resultiert darüber hinaus aus ihrer Teilnahme an den von der G.I.B. organisierten Schulungen zu speziellen Themen sowie denen der ebenfalls von uns geförderten „Servicestelle Faire Zeitarbeit und Werkverträge“. So ist eine stetige Weiterentwicklung ihrer Kompetenz garantiert.
Die Beratungsstellen spielen eine zentrale Rolle im landesweiten Beratungsnetzwerk gegen Arbeitsausbeutung in Nordrhein-Westfalen. Wer arbeitet dort zusammen und was genau ist dessen Ziel?
Die Ziele lassen sich klar benennen: Prävention, Information, Aufklärung, Beratung und Empowerment, damit Menschen lernen, dass sie Rechte haben und sich wehren können. Das erzeugt auch Druck auf ausbeuterische Arbeitgeber, denn wir wollen diese ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnisse möglichst im Kern bekämpfen und nicht nur die Symptome. Neben den Kontrollen durch den Arbeitsschutz, den Zoll und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit sind Beratung und Aufklärung ein wichtiger Baustein, um gegen ausbeuterische Verhältnisse vorzugehen. Denn wenn die Menschen wissen, dass sie Rechte haben und sich organisieren können, sind sie auch nicht mehr so leicht auszubeuten.
Neben den Beratungsstellen gehören gleich mehrere gewerkschaftsnahe Beratungsprojekte zu dem Netzwerk, vor allem das ebenfalls landesgeförderte Projekt „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ sowie die „Servicestelle Faire Zeitarbeit und Werkverträge“ in der Trägerschaft der Technologieberatungsstelle. Ebenfalls zum Netzwerk gehört der von uns geförderte Verein „Würde und Gerechtigkeit“ aus Lengerich mit dem Vorsitzenden Prälat Peter Kossen, der sich gemeinsam mit der Beratungsstelle in der Netzwerkarbeit engagiert und die Beratungsstellen mit kollegialer Fallberatung unterstützt.
Darüber hinaus gibt es eine enge Zusammenarbeit mit bundesgeförderten Projekten wie „Faire Mobilität“ und „Faire Integration“ in Trägerschaft des DGB. Unbedingt zu erwähnen sind in diesem Netzwerk-Kontext auch die G.I.B. mit ihren Koordinationsleistungen und Schulungen, die von den Regionalagenturen organisierten runden Tische vor Ort sowie das vom Land NRW geförderte Social Media-Projekt „Arbeitsmigration fair begleiten“ des Vereins Arbeit und Leben DGB/VHS Nordrhein-Westfalen.
Worum genau geht es beim Social-Media-Projekt? Was wurde bislang erreicht?
Auf den Weg gebracht haben wir das Modellprojekt, um die faire Anwerbung von Beschäftigten aus Ost- und Südosteuropa nicht nur, aber vor allem für die Fleischindustrie zu fördern. Wirken soll das von Traian Danciu und Elena Dumitru koordinierte Online-Angebot vor allem dort, wo die meisten Arbeitssuchenden zu finden sind, nämlich auf Social-Media-Plattformen wie Facebook.
Auf dem mehrsprachigen Kanal sollen Menschen, die erwägen, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen, möglichst schon in ihren Heimatländern, meist Rumänien und Bulgarien, angesprochen werden. Hier finden Interessierte beispielsweise Beratung zu arbeitsrechtlichen Fragen, Erfahrungsberichte von Betroffenen, Hinweise zum Erlernen der deutschen Sprache oder auch Antworten auf Fragen zum Transport, zur Arbeitsvermittlung sowie zur Vermittlung von Wohnraum.
Weil es sich bei den Interessierten nicht selten um Menschen mit relativ geringem Qualifikationsniveau und teils nur rudimentären Lese- und Schreibkenntnissen handelt, erfolgt die Ansprache zielgruppengerecht mit vergleichsweise vielen Bildern und kurzen erklärenden Filmen, wobei festzustellen ist, dass viele von ihnen Medienberichte über Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie wahrgenommen haben.
Unser Online-Angebot steht also in klarer Konkurrenz zu unseriösen Vermittlungsfirmen, die ebenfalls auf Facebook unterwegs sind. Erfreulich ist, dass wir mit diesem Angebot mehr als die Hälfte der Ratsuchenden schon in ihrem Heimatland erreichen und ein weiteres Viertel in anderen EU-Ländern, also schon sehr früh. Gut auch, dass die Posts dieses Projekts aktuell bis zu 200.000 anderen Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern vorgeschlagen werden, angesichts der recht kurzen Laufzeit des Projekts eine erstaunliche Reichweite und das bei steigender Tendenz. Aktuell verzeichnet das Projekt knapp 4.000 meist rumänische oder bulgarische Follower sowie mehr als 400 Fälle einer individuellen intensiven Beratung. Insofern ist dieses Projekt mit Blick auf die Vor-Integration geradezu vorbildlich. Etwas Vergleichbares gibt es nach unserer Kenntnis bislang nur im Bereich der Pflegeberufe, vor allem der Inhouse-Pflege, also der Live-in-Betreuung.
Ein Blick in die Zukunft: Wie sieht die Weiterentwicklung der Beratungsstellen Arbeit sowie die des Netzwerks gegen Arbeitsausbeutung aus?
Schon jetzt steht fest, dass die Beratungsstellen Arbeit ab Beginn der neuen Förderperiode 2023 für weitere drei Jahre gefördert werden. Zudem fördert das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales eine zusätzliche halbe Personalstelle für die Betreuung und Beratung geflüchteter Menschen aus der Ukraine, denn auch hier sind die Beratungsstellen sehr engagiert. Dass der Förderzeitraum von zwei auf drei Jahre ausgeweitet worden ist, erleichtert ihnen die Einstellung weiteren Personals. Das ist auch nötig, denn es ist längst erkennbar, dass der Bedarf nicht geringer wird, im Gegenteil. Dabei denke ich vor allem an Branchen, in denen prekäre Beschäftigung weit verbreitet ist, wie etwa bei einigen Lieferdiensten.
Bei all dem haben wir aber auch ein ganz anderes wichtiges Thema im Blick: die große Fachkräfteoffensive, die das Land Nordrhein-Westfalen starten wird. Das mag im ersten Augenblick erstaunen, doch unseres Erachtens muss das Thema faire Arbeitsbedingungen bei der Fachkräftesicherung unbedingt mitgedacht werden, damit angeworbene Fach- und auch sonstige Arbeitskräfte nicht in prekäre Verhältnisse vermittelt werden.
Das wäre fatal, denn solche Missstände, wie es sie zum Beispiel auch in der Fleischindustrie gibt, werden auch im Ausland registriert und tragen dazu bei, dass potenzielle Arbeitskräfte gar nicht nach Deutschland kommen. Eine derartige Verweigerungshaltung gegenüber prekären Arbeitsverhältnissen zeigt sich übrigens auch bei vielen jungen Menschen in unserem Land, die in Branchen mit eher schlechten Arbeitsbedingungen keine Ausbildung absolvieren wollen. Also: Faire Arbeitsbedingungen sind unbedingt auch ein Fachkräftethema, da besteht ein unmittelbarer Zusammenhang.
Was wir in Zukunft auf jeden Fall stärker in den Blick nehmen müssen ist der Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung. Das ist ein eher verborgenes, weitgehend unterbelichtetes Problem, das in der Öffentlichkeit noch nicht so richtig wahrgenommen wird. Für uns aber war es Anlass, das Modellprojekt „Prekäre Arbeit in Bielefeld“ zu fördern, durchgeführt von einer regionalen Entwicklungspartnerschaft, bestehend aus der Gesellschaft für Arbeits- und Berufsförderung Bielefeld GmbH sowie der Fachhochschule Bielefeld und lokal vernetzt mit dem Zoll und der Staatsanwaltschaft. Erste Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen erwarten wir spätestens Mitte nächsten Jahres. Sie werden hoffentlich dazu beitragen, Licht in dieses Dunkelfeld zu bringen.
Kontakt
Stefanie Harms
Referatsleiterin „Grundsatzfragen, faire Arbeitsbedingungen, Langzeitarbeitslosigkeit“
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Tel.: 0211 8553580
stefanie.harms@mags.nrw.de
www.mags.nrw
Referatsleiterin „Grundsatzfragen, faire Arbeitsbedingungen, Langzeitarbeitslosigkeit“
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Tel.: 0211 8553580
stefanie.harms@mags.nrw.de
www.mags.nrw