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(Heft 4/2022)
Interview mit Dr. Petra Reuter, MAGS NRW

„Für kleine und mittlere Unternehmen gilt es, im Wettbewerb um Fachkräfte nicht ins Hintertreffen zu geraten“

Als „eine der großen Herausforderungen unserer Zeit“ sieht Nordrhein-Westfalens Arbeits-, Gesundheits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann den Fachkräftemangel in den Pflege- und Gesundheitsberufen. Schon 2019 bezifferte die Landesberichterstattung Gesundheitsberufe NRW die nicht besetzten Vollzeitstellen in der Pflege für das Bundesland mit 24.000. Um den Bedarf zu decken, gewinnen Pflegekräfte aus dem Ausland zunehmend an Bedeutung. Ihre Anwerbung und Beschäftigung stellt gerade kleinere und mittlere Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Wie das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützen kann, erklärt Dr. Petra Reuter im Interview. Sie leitet dort die Stabsstelle „Berufsanerkennung und Fachkräftesicherung aus dem Ausland in Gesundheitsberufen“.

G.I.B.: Frau Dr. Reuter, auch in NRW hält der Fachkräftemangel in Pflege- und Gesundheitsberufen an. Inwiefern kann das Ausland helfen?
 

Dr. Petra Reuter: Fachkräfte zu gewinnen ist grundsätzlich zunächst Aufgabe der Arbeitgeber. Sie können Einfluss auf ausreichende Aus- und Weiterbildung sowie die Arbeitsbedingungen nehmen. Stichworte sind hier Tarifbindung, Arbeitsklima oder Hilfsmittelbereitstellung in der Pflege. Unsere alternde Gesellschaft benötigt aber perspektivisch so viel mehr Fachkräfte, dass der Bedarf allein im Inland nicht zu decken sein wird. Daher ist auch die Anwerbung aus dem Ausland ein notwendiger Baustein der Fachkräftesicherung. Größere Unternehmen, Klinikkonzerne und Universitätskliniken im Land haben dies bereits erkannt. Für kleine und mittlere Unternehmen gilt es, im Wettbewerb um Fachkräfte nicht ins Hintertreffen zu geraten. Empfehlenswert sind hier lokale Anwerbe- und Qualifizierungsverbünde. Das MAGS arbeitet dabei im Rahmen der Fachkräfteoffensive der Landesregierung aktuell an verbesserten Rahmenbedingungen.

Was macht die Berufsanerkennung von ausländischen Arbeitskräften im Pflegebereich so speziell?
 

Menschen aus dem Ausland als Fachkräfte zu gewinnen, ist kaum vergleichbar mit den inländischen Bewerbungsverfahren. Die erheblichen Unterschiede zeigen sich bereits im beruflichen Alltag. Die Grundpflege etwa wird in vielen Staaten ausschließlich durch die Familien geleistet, während sie in Deutschland ebenfalls zu den Aufgaben der Pflegekräfte zählt. Ferner haben diverse Staaten die Pflegeausbildung als Studiengänge organisiert, wodurch sie eher den Status ärztlicher Qualifikationen erreicht. Damit dies in Deutschland nicht zu Missverständnissen führt und gerade gewonnene Fachkräfte direkt wieder gehen, muss bereits im Ausland frühzeitig eine klare Information und Vorbereitung erfolgen.

Welche Rolle kommt der Landesregierung in diesem Anerkennungsprozess zu?
 

Wesentlich sind effektivere Anerkennungsverfahren. Sie fußen auf der Bewertung ausländischer Berufsabschlüsse im Vergleich mit dem deutschen Ausbildungssystem. Dafür hat das MAGS die Antragstellung in NRW zentralisiert, mit der Einrichtung der Zentralen Anerkennungsstelle für Gesundheitsberufe (ZAG) bei der Bezirksregierung Münster. Sie haben wir aktuell aufgrund der deutlich steigenden Antragszahlen massiv personell verstärkt. Dort arbeiten nach einer neuerlichen Ausweitung um 29 Stellen in diesem Jahr 95 Menschen, die sich auf die Bereiche der akademischen Heilberufe und der Pflege- und Gesundheitsfachberufe aufteilen. So gewährleisten wir eine auf Länder spezialisierte Sachbearbeitung, was die Prozesse beschleunigt.

Warum ist eine Spezialisierung sinnvoll?
 

Die länderspezifische Organisation der Ausbildung weltweit ist komplex. Es benötigt besondere Expertise und viel Erfahrung, um den Abgleich und die Anerkennung zu beschleunigen. Fachkräfte aus den Philippinen etwa haben an den dortigen Universitäten eine weitgehend gleiche Ausbildung erhalten. In Mexiko wiederum ist das von Hochschule zu Hochschule anders. Die in Deutschland erforderlichen Eignungs- und Kenntnisprüfungen darauf auszurichten, erfordert also sehr spezielles Wissen. Schlagkräftige und spezialisierte Organisationseinheiten sind daher erforderlich, sie haben wir in der ZAG geschaffen. Im Laufe des Jahres 2023 wollen wir die Prozesse rund um die Antragstellung weitgehend digitalisieren, dann sind lediglich noch die Zeugnisse im Original vorzulegen. In Nordrhein-Westfalen sind wir bereits heute schnell bei der Bearbeitung von Anträgen, künftig sind wir mithin noch effizienter. Darüber hinaus ist ein gutes Zusammenspiel verschiedener staatlicher Stellen wichtig. Das 2020 eingeführte beschleunigte Fachkräfte-Verfahren war die Voraussetzung dafür, dass die Anträge von Arbeitgebern auf Botschaftstermine und das Ausstellen von Visa wesentlich schneller bearbeitet werden. Die Landesregierung in NRW unterstützt dies mit der personellen Verstärkung der Ausländerbehörde durch die Zentralstelle für Fachkräfteeinwanderung bei der Bezirksregierung Köln.

Stichwort Arbeitgeber: Seit Anfang April 2022 liegt für sie eine praxisbezogene Handreichung vor, die wesentliche Aspekte im Zusammenhang mit der Gewinnung, Anerkennung und Integration ausländischer Fachkräfte im Gesundheitswesen bündelt. Die Broschüre hat die G.I.B. in enger Abstimmung mit Ihrer Stabsstelle erarbeitet. Welchen Eindruck haben Sie von der Wirksamkeit des Dokuments?
 

In dieser Gesamtheit haben die relevanten Informationen bisher nicht strukturiert vorgelegen. Uns ist es wichtig, sie nun kontinuierlich in den Netzwerken bekannt zu machen. Das ist zur Mitte des Jahres 2022 beispielsweise im Rahmen der Fachforen „Pflegefachkräfte aus dem Ausland“ in den fünf Regierungsbezirken gelungen. Seither berichtet die ebenfalls daran beteiligte Deutsche Fachkräfteagentur, die bei den Anwerbeprozessen unterstützt, von guten Rückmeldungen. Zu finden ist die Handreichung in digitaler Form auch auf der Website des MAGS, darüber hinaus empfiehlt die ZAG sie regelmäßig bei Anfragen von privaten Vermittlern und Arbeitgebern. Uns freut, dass Arbeitgeber aktiv werden und auf die Informationen aus den Austauschforen und der Handreichung zurückgreifen. Damit erlangen die Unterstützungsstrukturen einen höheren Bekanntheitsgrad und werden leichter gefunden und genutzt.

Die Handreichung umfasst auch die „Integration“ der Arbeitskräfte. Warum?
 

Zu uns kommen ja Menschen, die Heimat, kulturelles Umfeld und oft auch ihre Familien verlassen haben. Der berufliche Alltag ist da nur eine Seite der Medaille, die andere besteht aus dem Leben in Deutschland, das sie sich von Behördengängen über die Kontoeröffnung bis zum Handyvertrag organisieren müssen. Bei der kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Integration ist auch Unterstützung der Arbeitgeber gefragt. Ein gutes Instrument ist da der „Werkzeugkoffer“, den das Deutsche Kompetenzzentrum für internationale Fachkräfte in den Gesundheits- und Pflegeberufen unter Trägerschaft des Kuratoriums Deutsche Altershilfe anbietet. Wir arbeiten aktuell daran, die bereits bestehenden kommunalen und privaten Integrationsstrukturen stärker mit den anwerbenden Unternehmen zu vernetzen. Frühzeitige Wohnungssuche und der Kontakt zu Migrantenorganisationen sind nicht zu unterschätzen, wenn die Anwerbung aus dem Ausland gelingen soll. Die Handreichung gibt wertvolle Tipps für all diese Aspekte.

Was sind weitere Gelingensbedingungen für eine beschleunigte Anwerbung ausländischer Fachkräfte im Gesundheitswesen?
 

Der Spracherwerb schon im Ausland ist eine wichtige Stellschraube, denn über 90 Prozent der Antragstellenden kommen inzwischen aus Drittstaaten. Hier sehen wir noch erheblichen Verbesserungsbedarf durch den Bund, in dessen Aufgabenbereich die Sprachförderung fällt. Sofern eine praktische und theoretische Nachqualifizierung der Fachkräfte nötig ist, werden die Eignungs- und Kenntnisprüfungen sowie die Anpassungsmaßnahmen angesichts deutlich steigender Antragszahlen ein Flaschenhals bleiben. Daher setzt das MAGS sich für eine Verschlankung der AzAv-Auflagen* für Pflegeschulen ein, die in NRW die Anpassungsqualifizierungen stellen und organisieren. Denn warum soll eine Pflegeschule, die bereits zertifiziert und als Ausbildungsort zugelassen ist, sich noch einmal für die Bundesagentur für Arbeit zertifizieren lassen? 

Inzwischen sind auf unsere Initiative hin nur noch Bereiche neu zu zertifizieren, die bei der Anerkennung als Schule noch nicht existierten. Wir arbeiten aber darauf hin, die Zertifizierung komplett abzuschaffen, um mehr Pflegeschulen zu aktivieren. Sie sind auch die Säulen bei den Eignungs- und Kenntnisprüfungen. Die Bezirksregierung Münster hat bereits ein gutes Netzwerk an Schulen aufgebaut, sodass die Wartezeit für eine Prüfung nur noch 21 Tage beträgt. Für den Erfolg sind dann aber ausreichende Sprachkenntnisse vonnöten, was den erwähnten Stellenwert der Kurse nur noch einmal unterstreicht.


* Verordnung über die Voraussetzungen und das Verfahren zur Akkreditierung von fachkundigen Stellen und zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung)

Kontakt

Dr. Petra Reuter
Ministerium für Arbeit, Gesundheit
und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
Referat für Arbeit und Qualifizierung (II)
Stabsstelle Berufsanerkennung und Fachkräftesicherung
aus dem Ausland in Gesundheitsberufen, Düsseldorf
Tel.: 0211 8553260
Petra.Reuter@mags.nrw.de

Das Interview führten

Ralf Burger
Tel.: 02041 767316
r.burger@gib.nrw.de
Volker Stephan
Tel.: 0173 3679157
post@volker-stephan.net

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Volker Stephan
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