„Angesichts immer neuer Rekorde bei der Zahl an Erwerbstätigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen gerät leicht ein Phänomen unserer Gesellschaft aus dem Blick, das so gar nicht zu den stetigen Erfolgsmeldungen vom Arbeitsmarkt zu passen scheint: Armut! Unbestritten aber gibt es sie: in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen und hier vor allem im Ruhrgebiet.“ Das sagte Karl-Heinz Hagedorn, Geschäftsführer der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B.), in Essen und er bekräftigte zugleich: „Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen duckt sich nicht weg vor dem Thema – im Gegenteil. Der Kampf gegen Armut, und hier insbesondere gegen Kinder- und Jugendarmut, ist Minister Karl-Josef Laumann ein besonderes Anliegen.“
Beispielhaft dafür steht das Förderprogramm „Zusammen im Quartier – Kinder stärken – Zukunft sichern“. Mit ihm stellt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) bis einschließlich 2020 jährlich acht Millionen Euro aus Landes- und ESF-Mitteln für Projektförderungen zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut in besonders benachteiligten Quartieren sowie zur Sozialplanung zur Verfügung. Begleitet und unterstützt werden die Projektträger vom Team „Armutsbekämpfung und Sozialplanung der G.I.B. Die Erkenntnisse und Erfahrungen der Projekte, so Karl-Heinz Hagedorn, „sind wichtig für die Ausgestaltung zukünftiger Förderstrategien in diesem Handlungsfeld.“
Armut und Ausgrenzung in benachteiligten Quartieren
Bevor die konkreten Unterstützungsangebote der G.I.B. ausführlich zur Sprache kamen, lieferte Wolfgang Kopal Referent im MAGS NRW ein differenziertes Bild von Kinder- und Jugendarmut in Nordrhein-Westfalen. So lebten hier 2017 rund 592.000 von insgesamt knapp drei Millionen Personen im Alter von unter 18 Jahren, also rund 20 Prozent, in Bedarfsgemeinschaften mit Bezug von Mindestsicherungsleistungen. Die Armutsrisikoquote von Minderjährigen lag in dem Jahr mit rund 24 Prozent sogar noch höher. Eine weitere Zahl zur Illustration: Während 2016 Kinder aus Paarfamilien zu 18,3 Prozent von relativer Einkommensarmut betroffen waren, betrug der entsprechende Anteil der Kinder von Alleinerziehenden 42 Prozent.
„Das Armutsrisiko“, stellte Wolfgang Kopal fest, „hängt vor allem mit dem Qualifikationsniveau, dem Erwerbsstatus, dem Migrationsstatus der Eltern und dem Familienstand zusammen.“ Hinzu kommt: Kinder aus einkommensarmen Haushalten besuchen seltener das Gymnasium und öfter die Hauptschule als Kinder aus nicht einkommensarmen Haushalten. Zudem leiden sie häufiger als andere Kinder unter körperlichen und psychischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
„Insgesamt“, lautete das Fazit des MAGS-Mitarbeiters, „haben sich Armut und soziale Ausgrenzung verfestigt, die soziale Spaltung hat zugenommen. Das zeigt sich vor allem auf der kommunalen Ebene in den benachteiligten Quartieren bei den besonders von Armut und Ausgrenzung betroffenen Menschen.“
Genau deshalb komme es darauf an, zusätzliche Angebote gezielt für Kinder, Jugendliche und ihre Familien in benachteiligten Quartieren zu schaffen, um Teilhabe sicherzustellen und die Qualität im Lebens- und Wohnumfeld zu verbessern. Dazu dient das Programm „Zusammen im Quartier – Kinder stärken – Zukunft sichern“ (ZiQ) mit seiner Fokussierung auf besonders von Armut betroffene Kommunen in Nordrhein-Westfalen, in dessen Rahmen die Installation von „Quartierskümmerern“ und Maßnahmen, die ein gesundes Aufwachsen von Kindern gewährleisten sollen, gefördert werden – all das im Kontext einer Sozialplanung mit starkem Bezug zum unmittelbaren Lebensumfeld der Betroffenen.
In der Praxis impliziert der integrierte Ansatz eine fachübergreifende Zusammenarbeit der verantwortlichen Akteure, von den einzelnen kommunalen Ämtern bis hin zu den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege, die ihre jeweiligen Kompetenzen „in das große Ganze einbringen.“ Des Weiteren gehören die Entwicklung und Nutzung themenspezifischer Netzwerke sowie der Aufbau von Einrichtungen und Angeboten, die von den Betroffenen „fußläufig“ erreichbar sind zum Förderspektrum – insgesamt also eine Entwicklung „vom Einzelschritt zur Handlungs-, Maßnahmen- und Präventionskette“, so Kopal. Wie wichtig und sinnvoll der Programmaufruf war, beweist die überwältigende Resonanz aus den Kommunen: Bisher wurden 157 Anträge auf Projektförderung gestellt.
Fachliche Unterstützung durch die G.I.B.
Fachliche Unterstützung finden die Projektträger des ZiQ-Programms beim Team „Armutsbekämpfung und Sozialplanung“ der G.I.B., das seit Januar 2019 unter anderem Kommunen zur strategischen Sozialplanung berät und Träger bei der Umsetzung von Quartiersprojekten begleitet.
In Essen konkretisierte Projektleiter Dr. Frank Nitzsche das breite Spektrum der G.I.B.-Dienstleistungen „im Kontext der Quartiers- und Sozialraumorientierung“. Die zentralen Fragestellungen dabei betreffen „die Zielgruppen, die Methoden, die Wirkungen, der Einbezug örtlicher Strukturen und die Netzwerkarbeit.“
Zum Portfolio des Teams zählen zum Beispiel der Informations- und Beratungsservice für geförderte Projektvorhaben, der Wissens- und Erfahrungstransfer für Projektträger durch Arbeitstreffen und Workshops zu ausgewählten Themenbereichen sowie die Durchführung überregionaler Fachveranstaltungen zum Erfahrungstransfer und Wirksamkeitsdialog für die beteiligten Akteurs-Gruppen und die Fachöffentlichkeit.
Spezielle Fortbildungsangebote, die Aufbereitung guter Praxis-Projekte und der Wissenstransfer über Veröffentlichungen sowie die Dokumentation und Berichterstattung zu den Ergebnissen ausgewählter Projekte in Zusammenarbeit mit den Projektträgern ergänzen das umfassende Unterstützungsangebot.
Konkret unterstützt die G.I.B. die einzelnen Projekte durch regelmäßige Dialoge dabei ausgewählte Projektverläufe nachzuhalten, bietet frühzeitige Unterstützung bei Problemanzeigen an, informiert über Zielgruppen, Hindernisse und Hürden oder diskutiert mit den Projektträgern über Handlungsansätze und Methoden, die dazu beitragen, die Ziele des Förderprogramms zu erreichen.
Bevor die Teilnehmenden sich nach diesem Überblick in zwei Arbeitsgruppen aufteilten, waren sie gefordert, im „ZiQ-Elevator-Pitch“ ihrem jeweiligen Gegenüber innerhalb kürzester Zeit Infos zur eigenen Person zu liefern, den Auslöser für die Projektidee zu benennen, Zielgruppe und Angebot zu spezifizieren und ihre Netzwerkarbeit vorzustellen, um so ihr jeweiliges Gegenüber vom Sinn ihres Projekts zu überzeugen, und das gleich anschließend vice versa – faktisch ein hochkonzentrierter Fachaustausch, der zugleich Anknüpfungspunkte für zukünftige wechselseitige Inspirationen bot.
Praxisbeispiele aus der Arbeit vor Ort
In der ersten Arbeitsgruppe dann, moderiert von G.I.B.-Mitarbeiter Lars Czommer, kamen drei ZiQ-Projekte zu Wort. Zunächst stellte Werner Wörmann vom Büro für Integrierte Sozialplanung und Prävention der Stadt Bielefeld das Projekt „Spielerisch Bewegung fördern – Benachteiligung bekämpfen“ vor, das der Bewegungsförderung im Kita-Alltag ausgewählter Quartiere dient und motorische Defizite durch Freude an Bewegung beseitigen will. Umgesetzt wird das Projekt in enger Kooperation mit einem Sportverein, dem Jugend- und Gesundheitsamt sowie mit den im Quartier verwurzelten Kitas.
Genauso erfolgreich das von Jan-Dirk Hedt, Geschäftsführer QuaBeD in Kooperation mit den Kolping Bildungszentren Ruhr, präsentierte Projekt „Junge Menschen stark unterwegs“, das in einem Wittener Quartier mit „schwieriger Bevölkerungs- und Sozialstruktur Kinder und Jugendliche ermutigen, motivieren und befähigen soll, ihre Probleme und deren Lösungen selbstbewusst sowie selbstbestimmt in die eigene Hand zu nehmen“. Zentrales Element der Unterstützung ist ein „Job+SpielMOBIL mit Internet und PC-Ausstattung zur Ausbildungsstellenrecherche und Bewerbungserstellung sowie mit Möglichkeiten zu Freizeitaktivitäten, das zugleich als „Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche bei jeglichen Fragen dient.“
Im dritten Projekt „Starke Kinder“ wiederum, erläutert von Frauke Brod, Mitarbeiterin FAIR.STÄRKEN Köln, stehen Sozialtrainings an Schulen und in Unterkünften für geflüchtete Menschen in den Quartieren Köln-Portz und Köln-Mülheim auf dem Programm. Nach Auffassung von Lars Czommer sind das allesamt Projekte, die „adäquat zum Programmdesign im unmittelbaren Lebensumfeld der Quartiersbewohner verortet sind, eng mit den Fachbereichen der Kommunen kooperieren sowie an bestehende Netzwerke andocken und vorhandene Angebote sinnvoll ergänzen, sodass ein wirkungsvolles Ganzes entsteht.“
Nicht minder überzeugend sind die in der von G.I.B.-Mitarbeiter Tim Stegmann moderierten zweiten Arbeitsgruppe präsentierten Projekte, darunter „Eltern werden und die Welt steht Kopf“ vom Mütterzentrum Dortmund-Dorstfeld. In dem Projekt geht es darum, so Nicole Siegmann vom Mütterzentrum, „bewährte Angebote für Schwangere und gerade Eltern gewordene Personen in andere Quartiere der Stadt, wo sie dringend nötig sind, zu übertragen.“ Dabei setzt das Mütterzentrum auf Kooperationen mit bereits im Quartier etablierten Institutionen und Strukturen: die Angebote werden in Einrichtungen anderer Träger angeboten, zum Beispiel Kitas. Die Fachkräfte übernehmen eine Lotsinnenfunktion und können bei Bedarf auf andere Angebote verweisen.
Originell ist auch das vom jusina Jugendhilfe und soziale Integration e. V. umgesetzte und von Sebastian Schröer vorgestellte Projekt „Sozialraumorientierte Mentoring- und Coachingangebote für Kinder und Jugendliche“, das aufsuchende und stationäre Angebote im Quartier kombiniert. Besonderheit hier ist neben der Gesundheitsförderung an einer Gesamtschule sowie Sportangeboten in Kooperation mit der Boulder-Halle und dem Schwimmbad die Nutzung eines Lastenrades, das mit verschiedenen Spielangeboten für Kinder und Jugendliche, aber auch mit einem Internet-Accesspoint ausgestattet ist. Mit ihm ist eine Sozialarbeiterin unmittelbar vor Ort in den Quartieren unterwegs.
Last not least „POWER – Perspektiven für Oberbarmen-Wichlinghausen – Entwicklung von Resilienz“, ein Projekt der GESA gGmbH. Hier erhalten Alleinerziehende, war von Vanessa Scharmansky zu hören, „eine 1:1-Begleitung, um berufliche und private Perspektiven zu entwickeln und umzusetzen.“ Die Teilnehmerinnen können sich zudem zu Quartiers-Lotsinnen weiterbilden lassen, „um selbst Menschen in ihrem Umfeld Hilfestellung beim Auffinden von Angeboten geben zu können.“ Zugleich ist das ein guter Weg, zur besseren Erreichbarkeit der Zielgruppe. Darüber hinaus gibt es zwei Module für Kinder und Jugendliche zur schulischen und beruflichen Orientierung.
Trotz ausgezeichneter Qualität der Praxisbeispiele zog Tim Stegmann aus den Vorstellungen und anschließenden Diskussionen den Schluss, „dass es nach wie vor nicht die Regel ist, dass einzelne Projekte in abgestimmte Strategien oder Handlungskonzepte eingebettet sind und teilweise auch die Koordination von Angeboten auf der operativen Ebene schwierig ist.“ Nach seiner Auffassung wäre es „Aufgabe der Sozialplanung, in diesen Punkten für bessere institutionelle Rahmenbedingungen zu sorgen.“ Eine integrierte und strategische Sozialplanung übernimmt in der Kommune die Funktion, den Rahmen für eine Kooperation relevanter Fachbereiche in der Verwaltung, von Trägern sowie weiteren Institutionen und Vereinen zu schaffen. Auf Grundlage von empirischen Analysen der Rahmenbedingungen, der Bedarfe und Angebote im Quartier können dann koordiniert neue beziehungsweise ergänzende Maßnahmen initiiert werden, die idealerweise Schnittstellen zu anderen Angeboten und Vorhaben im Quartier haben. Das Team „Armutsbekämpfung und Sozialplanung“ der G.I.B. unterstützt Kommunen in NRW bei der Implementation einer integrierten und strategischen Sozialplanung.
Ein Hinweis zum Schluss: Für die 2019 bewilligten Projekte (2. Welle) wird es eine vergleichbare Veranstaltung voraussichtlich im November 2019 geben.
Ansprechpersonen in der G.I.B.
Tel.: 02041 767157
f.nitzsche@gib.nrw.de
Lars Czommer
Tel.: 02041 767254
l.czommer@gib.nrw.de
Tim Stegmann
Tel.: 02041 767264
t.stegmann@gib.nrw.de