Träger des finanziell vom Land Nordrhein-Westfalen und aus dem Europäischen Sozialfonds unterstützten Projekts ist die GESA gGmbH (gemeinnützige Gesellschaft für Entsorgung, Sanierung und Ausbildung mbH), die das Projekt in Kooperation mit dem Jobcenter Wuppertal durchführt.
Die GESA gGmbH, die 1995 aus der 1985 gegründeten Gefährdetenhilfe Wuppertal e. V. entstand, hat Erfahrung in der Durchführung von Projekten im Sozialraum. Dass für das Quartier Oberbarmen-Wichlinghausen ein besonderer Handlungsbedarf besteht, macht die GESA an konkreten Daten fest: Die Zahl der SGB II-Leistungsbeziehenden liegt in Oberbarmen-Wichlinghausen rund 10 Prozent über dem Durchschnitt in der Stadt Wuppertal, der 17,4 Prozent beträgt (2018). Besonders die Situation der unter 18-Jährigen ist problematisch, liegt der Anteil dieser Altersgruppe, der SGB II-Leistungen erhält, doch deutlich über dem Wuppertaler Mittelwert von 30 Prozent. In den Stadtteilen Wichlinghausen-Süd und Oberbarmen ist sogar fast jede zweite unter 18-jährige Person leistungsbeziehend. Die Zahl der Alleinerziehenden-Haushalte mit Kindern liegt mit 30 Prozent über dem städtischen Durchschnitt (25,6 %), von ihnen beziehen über 60 Prozent SGB II-Leistungen. Eine unbekannte Zahl von anspruchsberechtigten Alleinerziehenden nimmt Sozialleistungen zudem gar nicht erst in Anspruch, aufgrund von Unkenntnis, bürokratischen Hürden oder auch Schamgefühl.
Materielle Armut von Kindern und deren Familien, besonders wenn es sich um Ein-Eltern-Familien handelt, erschwere nicht nur die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sie verschlechtere auch die Entwicklungschancen und die beruflichen Perspektiven. Das, so die GESA, führe nicht selten zu tradierter Arbeitslosigkeit und damit einhergehenden langfristigen gesamtgesellschaftlichen Folgekosten.
Diesen Kreislauf will das Projekt POWER durchbrechen. Es schafft ein niederschwellig zugängiges individuelles Coaching-Angebot, unterstützt insbesondere alleinerziehende Mütter dabei, Unterstützungsangebote zu finden und ihre Selbstmanagementkompetenz zu erhöhen, vor allem die Kompetenz, soziale Herausforderungen in der Elternrolle zu bewältigen. Beim Coachingprozess wird mit den Frauen zusammen eine Bestandsaufnahme durchgeführt und gemeinsam der individuelle Handlungsbedarf ermittelt.
Um die eigene berufliche Entwicklung der Mütter zu ermöglichen, müssen zunächst die Rahmenbedingungen geschaffen und der Veränderungswille gestärkt werden. Und auch für die Kinder im Quartier hält POWER Angebote bereit. Sie lernen durch Trainings trotz erschwerter Bedingungen und Lebenslagen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, ihre psychische Gesundheit wiederzufinden und zu erhalten. Für Jugendliche im fortgeschrittenen Alter besteht im Rahmen des Projekts die Möglichkeit, in Workshops konkrete berufliche Zukunftsperspektiven zu entwickeln und auch zu erproben. Interessant ist darüber hinaus der Ansatz, teilnehmende Mütter in einer zweiten Projektphase zu befähigen, ihr im Projekt erworbenes Wissen als Quartierslotsinnen in ihr Umfeld einzubringen, also als Multiplikatorinnen für die Projektziele zu fungieren und die Nachhaltigkeit des Projektes zu sichern.
Beratung im Quartier
Doch zunächst einmal gilt es, die Zielgruppe zu erreichen. „Die Scheu, eine Beratung aufzusuchen, ist bei vielen groß“, weiß Vanessa Scharmansky, GESA-Fachbereichsleiterin für Beratung und Vermittlung. Deshalb sind die vier Sozialpädagoginnen, die in dem Projekt arbeiten, nicht nur in ihren Büros im Zentrum für Aus- und Weiterbildung der GESA in der Gennebrecker Straße anzutreffen, sondern im Quartier unterwegs. Sie bieten offene Beratungen an, zum Beispiel im Café Berlin, einer Kontakt- und Beratungsstelle für sozial benachteiligte und wohnungslose Menschen, sind in verschiedenen Kindergärten und Schulen präsent. Insgesamt steuern sie im Rahmen dieser aufsuchenden Arbeit monatlich durchschnittlich über 15 verschiedene Orte im Quartier an. Es werden Infostände an gut frequentierten Stellen im Quartier genutzt und auch ein mit dem Projektlogo gestalteter Bus, der über einen kleinen Arbeitsplatz mit Internetanschluss verfügt, sodass kurze Internetrecherchen oder Ausdrucke von Anträgen und ähnliches direkt vor Ort möglich sind. Flyer und ansprechend gestaltete Postkarten erleichtern die Kontaktaufnahme und bewirken einen Streuungseffekt. Kostenlos, unkompliziert und freiwillig – das gilt für alle Angebote im Rahmen von POWER.
Und so ist das Erreichen der Zielgruppe kein Problem. Die Zielvorgabe von 100 Kontaktaufnahmen pro Monat wird in der Regel weit übertroffen. Es kommen jeden Monat neue Erstkontakte hinzu (Juli 2019: 100). Auch die Zahl der aktiven Teilnehmenden (Juli 2019: 27) und Einzelcoachings (Juli 2019: 66) liegt über den angestrebten Zielen. Nach der Projekt-Aufbauphase Ende 2018/Anfang 2019 steigt auch die Zahl der Vermittlungen von Teilnehmenden in Arbeit, Ausbildung, weiterführende Maßnahmen und sonstige Angebote. So wurden etwa im Juni 2019 von den 16 aktiven Teilnehmerinnen zwei in Arbeit vermittelt und weitere sieben ins Hilfesystem. Unter Vermittlungen ins Hilfesystem kann zum Beispiel das Andocken an passende Beratungsangebote wie die Schuldnerberatung oder die Flüchtlingsberatung verstanden werden (Vermittlungsquote 56 Prozent).
Am Anfang steht Soforthilfe
Erfolge sind also sichtbar. Ein gutes Beispiel ist Joy I. Die Nigerianerin floh vor fünf Jahren mit ihren drei Kindern nach Deutschland und hält sich und ihre Familie in Wuppertal mit einer Putzstelle über Wasser, wobei das Einkommen kaum zum Leben reicht. Als sie sich entschloss, an POWER teilzunehmen, setzten die Projektmitarbeiterinnen Kiriakoula Kinigopoulou und Jasna Grünwald beim Coaching sofort bei den vordringlichsten Problemen an. Joy I. halfen sie dabei, ihren Anspruch auf SGB III-Leistungen (Alg 1) geltend zu machen. Den Kindern, die Probleme in der Schule hatten, vermittelten sie eine Hausaufgabenbetreuung. Und sie leiteten alles dafür in die Wege, dass Joy I. an einem Deutschkurs teilnehmen kann.
Die Suche nach kostenfreien oder über das Bildungs- und Teilhabepaket finanzierbaren Betreuungs-, Förder- und Freizeitangeboten und auch die Antragstellung, besonders das Ausfüllen von Formularen, das für viele Mütter eine Hürde darstellt, übernehmen in der ersten Projektphase die Projektmitarbeiterinnen. Joy I. ist dankbar, dass die beiden so unkompliziert und schnell für sie da waren. „Bei POWER habe ich zum ersten Mal erlebt, dass mir jemand sofort geholfen hat. Sie haben Ordnung und Hoffnung in mein Leben und das meiner Familie gebracht“, sagt die Nigerianerin auf Englisch.
Aber das soll im Projekt nur der erste Schritt sein. Nach den wichtigsten notwendigen Hilfen, den Informationen über existierende Unterstützungsangebote, der Vermittlung an und Begleitung zu Fachstellen wie zum Beispiel Erziehungs- oder Schuldenberatungsstellen, ist die erste Projektphase darauf ausgerichtet, die Teilnehmenden zu befähigen, zukünftig eigenständig Problemlagen bewältigen und auflösen zu können. Mit den Müttern wird intensiv daran gearbeitet, ihre Ängste vor dem Einstieg oder Wiedereinstieg in einen Beruf aufzulösen, zum Beispiel durch das Einüben von Bewerbungsgesprächen.
So auch bei Mariyana M., eine 40-jährigen Bulgarin. „Ich hatte solche Angst vor den Bewerbungsgesprächen“, erzählt sie. „Die Mitarbeiterinnen von POWER haben alles mit mir geübt – vom Telefonat bis zum Vorstellungstermin.“ – Seit drei Monaten arbeitet sie in einer Reinigungsfirma.
Nach dem Durchlaufen verschiedener Coaching-Tools wie dem Kraftressourcen-Modell, Rollenspiele und dem Erlernen von Reflexionstechniken und dem Einmünden in eine Beschäftigung, können die Teilnehmerinnen weitere Angebote im Rahmen des Projektes wahrnehmen. In dieser zweiten Phase des Projekts POWER, der Mentoring-Phase, nehmen die Projektmitarbeiterinnen die Rolle der Ratgebenden ein, wobei die Terminabstände größer werden. Die Mütter werden in dieser Phase zum Beispiel dabei unterstützt, sich persönlich weiterzuentwickeln, ihr strategisches Denken und Handeln zu verbessern und zu lernen, auch in herausfordernden Situationen sicher und souverän aufzutreten. Sie können sich dann außerdem entscheiden, an der im Projekt POWER angebotenen Schulung zur Quartierslotsin teilzunehmen und sich zukünftig so als Multiplikatorin für das Projekt in ihrem sozialen Umfeld zu engagieren. So können sie auch anderen Müttern in ähnlichen Lebenssituationen durch ihr erarbeitetes Wissen helfen. Von der Hilfebedürftigen zur Helferin – so die Idee des Projekts.
Prävention an Schulen – Kinder stärken!
Die Kinder und Jugendlichen im Quartier erreichen die Projektmitarbeiterinnen vor allem über Workshops an Schulen. So erarbeiten die Sozialpädagoginnen Jana Krell und Caroline Stücker mit Jugendlichen der neunten Klasse der Helene-Stöcker-Schule individuelle Zukunftsperspektiven, identifizieren die dafür nötigen Ressourcen und stärken ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber herausfordernden Lebenssituationen – die sogenannte Resilienz. Mit der Helene-Stöcker-Schule und der Johannes-Rau-Schule wurden schon im Rahmen des Vorgängerprojekts prioA, das Ende 2018 auslief, Kooperationen vereinbart, die mit POWER nun fortgeführt werden.
„Es ist schön zu sehen, wie die Schülerinnen und Schüler lernen, Stress und private Probleme zu reflektieren und eigene Wege finden, damit besser umzugehen“, so die beiden Projektmitarbeiterinnen. Insgesamt sind vier aufeinander aufbauende Workshop-Module für die Jugendlichen bis zu einem Alter von 16 Jahren vorgesehen. Im ersten Modul „No Stress“ geht es um die Identifikation und die Bewältigung von Stressoren und Stresserlebnissen mithilfe von bestimmten Methoden. Im Modul „No Problem“ arbeiten die Jugendlichen daran, Strategien zur Lösung von Problemen zu erlernen. Dabei werden zum Beispiel Rollenspiele eingesetzt. „Meine Quellen“ ist das dritte Modul benannt. In ihm erarbeiten die Coachs mit den Teilnehmenden, über welche Fertigkeiten und Fähigkeiten sie bereits verfügen, um Probleme zu lösen und wer sie dabei unterstützt hat, damit sie bei zukünftigen Herausforderungen auf diese Skills und Hilfen zurückgreifen können. Den Abschluss bildet dann das Modul „Meilensteine“, bei dem es darum geht, realistische Zielvorstellungen und eine intrinsische Motivation, diese Ziele zu erreichen, zu entwickeln.
Die Workshops sind in den Schulalltag integriert und werden mit sechs Unterrichtseinheiten pro Modul umgesetzt (insgesamt also 24 Unterrichtseinheiten). Bisher (Stand Juli 2019) haben zwei Workshops mit einmal 15 und einmal 14 Schülerinnen und Schülern stattgefunden. „Die Workshops wurden beide Male sehr gut angenommen“, berichtet Vanessa Scharmansky. „Besonders gut kam bei den Jugendlichen an, dass der Workshop Raum bot, offen, sicher und ehrlich über problematische Situationen zu sprechen, und gemeinsam überlegt wurde, wie diese erfolgreich bewältigt werden können (Copingstrategie).“
Für ältere Jugendliche im Alter von 15 bis 20 Jahren werden in den Ferien „Zukunftsworkshops“ angeboten, die unter anderem der beruflichen Orientierung dienen sollen. Die Idee war ursprünglich, den maximal zehn Teilnehmenden in den Werkstätten und Betriebsstätten der GESA die Möglichkeit zu geben, in verschiedene Berufe hineinzuschnuppern. Zur Wahl stehen dort die Gewerke Maler und Lackierer, Elektro, Metall- und Holzbearbeitung, Friseur/-in, Garten- und Landschaftsbau und Facility Management. Im weiteren Verlauf des Zukunftsworkshops sollten sich die Jugendlichen für ein Gewerk entscheiden, in diesem dann eine Übungsfirma gründen und reale Produkte herstellen.
Leider lockte dieses Konzept beim ersten Zukunftsworkshop in den Osterferien nur zwei Jugendliche. „Das Feedback dieser beiden Personen ließ darauf schließen, dass sie Interesse an den Inhalten des Zukunftsworkshops haben, jedoch dies gerne mit Freizeitaktivitäten verknüpfen würden“, so Vanessa Scharmansky. Die stringente Zielsetzung auf das Arbeiten an einer Übungsfirma scheint für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Ferien also nicht überzeugend genug zu sein. Dem hat die Projektleitung Rechnung getragen. Für den zweiten und dritten Zukunftsworkshop in der zweiten Hälfte der Sommerferien konnte eine Kooperation mit dem Träger IB (Internationaler Bund) vereinbart werden. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen bauen nun im Rahmen des Workshops an der Nordbahntrasse in Wuppertal einen Container in eine Art Jugend- und Kulturtreff um. Dieses Angebot des aktiven Gestaltens des eigenen Lebensraums zu ihren Gunsten und zu Gunsten anderer, bei dem auch der Freizeitaspekt nicht zu kurz kommt, trifft auf sehr viel Interesse und Akzeptanz. Mitte Juli zeichnete sich ein Anstieg der Teilnehmerzahlen ab.
Die Stadt Wuppertal ist ein enger Partner des Projekts POWER. Die GESA ist mit allen wichtigen Einrichtungen der Stadt und anderen Trägern im Sozialraum vernetzt. POWER wurde im März 2019 auf der Stadtteilkonferenz Oberbarmen-Wichlinghausen vorgestellt. Die Projektmitarbeitenden nehmen regelmäßig an den Stadtteilkonferenzen und anderen Treffen wie zum Beispiel dem Netzwerktreffen Integration teil.
Die GESA macht die Erfahrung, dass gerade die niederschwelligen Kontaktangebote „auf der Straße“ zunehmend angenommen werden und Teil des alltäglichen Lebens in den Stadtteilen geworden sind. „Das Projekt ist in Wuppertal etabliert“, sagt Vanessa Scharmansky. „Insbesondere die aufsuchende Arbeit und die enge Begleitung der Teilnehmenden haben sich bewährt. Dank der guten Vernetzung vor Ort können individuelle und nachhaltige Lösungen gefunden werden. Auch die Projektpartner in der Stadt schätzen die Kooperation und das Projekt sehr.“
Den dringenden Bedarf eines niederschwelligen Beratungsangebots im Sozialraum sieht die GESA darüber hinaus durch eine im Juni 2018 vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführten Studie1 bestätigt. Aus der wird unter anderem die Notwendigkeit einer „vor Ort einfach erreichbare(n) Anlaufstelle für Eltern und ein Kinder- und Jugendbüro, an das sich junge Menschen mit Fragen und Problemen direkt wenden können“, abgeleitet.
Vanessa Scharmansky bricht deshalb eine Lanze dafür, das Angebot auf Dauer anzulegen: „Die bisher erzielten Erfolge, die sich auch in den Zahlen widerspiegeln, zeigen, dass eine Verstetigung wichtig ist.“ Das Projekt POWER ist derzeit bis zum 15.12.2020 befristet.
1 www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/kinderarmut-haengt-stark-von-berufstaetigkeit-der-mutter-ab/
Kontakt
Fachbereichsleiterin Beratung und Vermittlung
GESA – gemeinnützige Gesellschaft für
Entsorgung, Sanierung und Ausbildung mbH
Hünefeldstraße 14 a
42285 Wuppertal
Tel.: 0202 28110188
vanessa.scharmansky@gesaonline.de
Autor
Ansprechpersonen in der G.I.B.
Tel.: 02041 767157
f.nitzsche@gib.nrw.de
Tim Stegmann
Tel.: 02041 767264
t.stegmann@gib.nrw.de