„Die Digitalisierung halten weder Ochs noch Esel auf“, schreibt Timo Daum, Hochschullehrer in den Bereichen IT, Medien und digitale Ökonomie in seinem mehrfach ausgezeichneten Buch „Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie“: „Niemand will und kann diesen Exportartikel aus Kalifornien ausbremsen.“ Zugleich erinnert er an den Computervisionär Alan Turing, der im Zweiten Weltkrieg half, den Verschlüsselungscode der deutschen Wehrmacht zu dechiffrieren und 1936 das „Konzept einer theoretischen Maschine“ präsentierte. Damit legte er die theoretische Basis für universelle Rechenmaschinen und die Idee der künstlichen Intelligenz „Der Takt der modernen Inkarnationen von Turings brillanter theoretischer Maschine“, sagt der studierte Physiker Daum, „ist um ein Vielfaches höher als bei der Dampfmaschine oder bei Fords Fließbändern. Und er wächst seit den 1960er Jahren exponentiell.“
Das klingt dramatisch, doch die damit indirekt angesprochene Digitalisierung ist – und das gilt vor allem für den digitalen Transformationsprozess eines Unternehmens – nichts anderes als ein Veränderungsprozess wie frühere Veränderungsprozesse auch, nur einer von neuer Qualität: komplizierter, komplexer und dynamischer.
Viele Unternehmen haben sich offensichtlich bereits darauf eingestellt. Laut einer Studie des Analystenhauses Pierre Audoin Consultants (PAC), war kürzlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu lesen, konzentrieren sich deutsche Unternehmen bei der digitalen Transformation auf die Automatisierung interner Prozesse: Während 62 Prozent der befragten Fertigungsunternehmen davon überzeugt waren, dass die Digitalisierung ihre Prozesse verbessert und ihre Effizienz steigert, sahen lediglich 45 Prozent darin eine Möglichkeit, neue Produkte und Services anzubieten.
Dass Unternehmen sich trotz Dauerkonfrontation mit einem Konglomerat von Kampfbegriffen wie „Cyber-physische Systeme“, „Big Data“ oder „predictive maintenance“ in einer überwiegend technisch getriebenen Diskussion nicht in Abenteuer stürzen lassen, sondern nüchtern und verantwortungsbewusst, zugleich aber auch offen gegenüber neuen Chancen agieren, lässt sich durchaus als gute Nachricht interpretieren.
Tatsächlich genügt es nicht, nur die technischen Möglichkeiten zu sehen. Vielmehr ist immer zu reflektieren, worin ihr Sinn, ihr Nutzen liegt. Dazu sollte ein Unternehmen wissen, wo es im Wettbewerb steht, wie die internen Prozesse aussehen, wo Verbesserungsbedarf besteht und in welche Richtung das Unternehmen entwickelt werden soll. Erst in diesem Kontext stellt sich die Frage, ob und – wenn ja – welche neue Technologie zum Einsatz kommen und wie die neue Technologie im Betrieb implementiert werden soll. Ein so durchdachtes Vorgehen ist unverzichtbar, weil schlecht organisierte Prozesse durch ihre bloße Digitalisierung nicht an Qualität gewinnen.
Partizipation und Kompetenzentwicklung
Aus all dem folgt: Es gibt nicht ,die‘ Digitalisierung. Aus Sicht der Unternehmen muss sie immer betriebsspezifisch sein. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, wie sich die Anforderungen an die Beschäftigten durch die Digitalisierung verändern. Dazu ist es wichtig zu wissen, welche Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten genau am Arbeitsplatz gefordert sind, wer diese Anforderungen heute und zukünftig erfüllen kann und will und wie zukünftig benötigte Kompetenzen aufgebaut werden können.
Wenn ein Unternehmen die Umbrüche der Arbeitswelt im Kontext der Digitalisierung gut und fair gestalten will, ist es auf die Partizipation und Kompetenzentwicklung seiner Beschäftigten angewiesen sowie auf eine kritische Auseinandersetzung über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsprozesse in interdisziplinären Teams. Gleichzeitig müssen Beschäftigte Kompetenzen entwickeln, um sich in offeneren, komplexeren und dynamischen Situationen selbstorganisiert zurechtzufinden, auftretende Probleme zu analysieren und dafür neue, noch unbekannte Lösungen zu erarbeiten. Damit das gelingt, müssen sie Einfluss haben auf die Gestaltung ihrer Arbeitsorganisation, ihrer Arbeitsinhalte und ihrer Weiterbildung. Nur so bleiben sie mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen ein Erfolgsfaktor für die Unternehmen.
Meist sind indes notwendige Veränderungen oder die Erarbeitung zukunftsfähiger Strategien nur durch den systematischen Einsatz von Instrumenten der Personal- und Organisationsentwicklung möglich. Für KMU aber ist das keine Selbstverständlichkeit.
„Unsere Anstrengungen“, heißt es deshalb in der „Strategie für das digitale Nordrhein-Westfalen. Teilhabe ermöglichen – Chancen eröffnen“ der Landesregierung, „gelten vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen, die noch nicht aus sich heraus zu Vorreitern der digitalen Transformation geworden sind.“
So fördert das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) die beteiligungsorientierte Beratung von Unternehmen über die Potentialberatung, ein Instrument, das allen kleinen und mittleren Unternehmen offensteht und mit betriebsspezifischen Lösungen für ein breites Spektrum an Themen zum „Treiber der betrieblichen Modernisierung“ werden kann.
Nicht minder relevant der Bildungsscheck NRW. Mit ihm, ist Minister Karl-Josef Laumann überzeugt, „leistet das Land einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Veränderungen am Arbeitsplatz – gerade mit Blick auf die Digitalisierung. Wir machen die Menschen fit für die Arbeitswelt der Zukunft und sorgen dafür, dass Beschäftigung und Fachkräfteversorgung gesichert bleiben.“
Wunsch der Anwender nach Mitgestaltung
Zehn Betriebe unterschiedlicher Branchen, die im Digitalisierungsprozess schon weiter vorangeschritten sind und deshalb inspirierend wirken können, hat sich Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann bei seiner „Digitalisierungsrundreise“ direkt vor Ort angesehen, darunter zwei mittelständische Unternehmen aus der Landwirtschaft, von denen der eine mit seinen gerade mal 45 Beschäftigten über eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung verfügt.
Hier, wie in allen von ihm besuchten Betrieben ließ Karl-Josef Laumann keinen Zweifel daran, dass in seinen Augen die Qualifizierung und die Beteiligung der Beschäftigten der Schlüssel für das Gelingen digitaler Transformationsprozesse sind: „Kostenblock und Zeitkontingent für Weiterbildung werden wachsen!“, formulierte er prägnant.
Eine Aussage, die mit der Auffassung von Petra Reinbold-Knape, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes der IG BCE sowie des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit, korrespondiert. Auch für sie ist Weiterbildung im Kontext des digitalen Wandels, sagt sie im G.I.B.-Interview, „ein zentrales Thema“.
Bildung schließt immer Ausbildung mit ein. Hier könnte das moderne Trainingszentrum Verl des „Beruflichen AusbildungsNetzwerks im Gewerbebereich“ (BANG) beispielhaft sein, wo gemeinsam mit Unternehmen der Region und mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen eine „BANG-Lehrfabrik Industrielle Informatik“ installiert worden ist, eine 200 Quadratmeter umfassende Lehrinsel „Industrie 4.0“ inklusive Industrieroboter, um die herum eine Grundlagenlehrwerkstatt für Mechatronik, Elektrotechnik, Informatik und Wartungstechnik angeordnet ist.
Wie im weiteren Berufsverlauf die „Mischung aus technischer Lösung und gleichzeitiger Qualifizierung“ der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kleinen und mittleren Unternehmen im Digitalisierungsprozess konkret aussehen muss, darüber hat sich das Projekt „Betriebe und Beschäftigte gestalten die digitale Transformation (KMU 4.0)“ an der RWTH Aachen Gedanken gemacht. Gerade bei kleinen Betrieben sieht das Projektteam im Kontext der Digitalisierung „ein großes Potenzial zu Veränderungen, die zum Teil mit einfachen Mitteln erreichbar sind.“ Als Beispiel dafür steht in diesem Heft die Tekloth GmbH (Energie- und Gebäudetechnik) in Bocholt, die mit Unterstützung einer Potentialberatung eine digitalisierte Arbeitszeiterfassung installierte.
Dass kleine und mittlere Unternehmen mit dem Thema Digitalisierung insgesamt ganz anders umgehen als Großunternehmen, führt Prof. Dr. Thomas Mühlbradt vom Institut der Deutschen MTM-Vereinigung e. V. aus. Nach seiner Ansicht geht es bei ihnen konkret um zwei Fragen: „Wie kann ich durch Digitalisierung schneller und sparsamer produzieren? Und zweitens: Welche Produkte kann ich entwickeln?“ Im Gespräch mit der G.I.B. bringt er seine „Idee und Hoffnung“ zum Ausdruck, „dass wir so etwas wie aufgeklärte Ingenieure bekommen und dass alle, die Software entwickeln und in der Automatisierung arbeiten, den Wunsch der Anwender nach Mitgestaltung in ihr Denken und Handeln integrieren.“